© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/12 07. Dezmber 2012

Hinter verschlossenen Türen
Konferenz: In Dubai wird über die Zukunft des Internets beraten / Kritiker befürchten massive Zensur
Ronald Berthold

Wenn Regierungen aus China, Iran und Rußland internationale Initiativen zur Freiheit im Internet ergreifen, wird die Netzgemeinschaft hellhörig. Hinter verschlossenen Türen tagt seit Montag die Weltkonferenz für Internationale Telekommunikation in Dubai.

Die Internationale Fernmeldeunion (ITU) unter Generalsekretär Hamadoun Touré soll dabei elementare Entscheidungen über die Zukunft des Netzes fällen. Doch weder die Beschlüsse noch die Beschlußvorlagen dieser UN-Institution sollen öffentlich gemacht werden.Trotz der Intransparenz ist durchgesickert, welche Themen auf der Agenda stehen. Der für die Freiheit im Netz wohl gefährlichste Vorstoß soll die ITU zur Zensurbehörde für das Internet umgestalten. Das Gremium der Vereinten Nationen, für das Deutschland jährlich rund 1,6 Millionen Euro aufwendet, wird demnach künftig das Netz regieren. Und zwar scheinbar ganz demokratisch. Jedes Land hätte eine Stimme. Entscheidungen, was im Internet stehen darf und vor allem was nicht, fällt die ITU dann mit einfacher Mehrheit. Demokratische Mehrheiten für Diktatoren wären leicht zusammenzubekommen.

Herrscher wie Weißrußlands Alexander Lukaschenko oder Irans Mahmud Ahmadinedschad könnten sich beliebige Allianzen suchen, um der Meinungsfreiheit zu begegnen. Freiheitlich verfaßte Länder sind weltweit in der Minderheit. Kein Wunder, daß sogar das EU-Parlament aufgeschreckt ist. Es fordert die EU-Kommission und den Rat auf, sich in Dubai dafür einzusetzen, daß das Internet „ein öffentlicher Raum bleibt“.

Solch deutliche und sorgenvolle Worte lassen aufhorchen: „Menschenrechte und Grundfreiheiten, insbesondere das Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit“ dürften auf der ITU-Sitzung nicht gekippt werden, heißt es aus Straßburg. Gleichzeitig kritisieren die Parlamentarier die Intransparenz des Treffens – selbst die Tagesordnung ist geheim – und die fehlende Einbeziehung der Öffentlichkeit.

Auch die deutsche Verhandlungsdelegation ist mit Skepsis im Gepäck nach Dubai gereist. Das federführende Wirtschaftsministerium hat sich auf eine Verhandlungslinie festgelegt, die weitere Eingriffe des Staates in die sogenannte Netzarchitektur ablehnt. So heißt es in dem durchgesickerten Positionspapier, die Regulierung des Internets sei nicht die Aufgabe der ITU. Und weiter: „Insbesondere lehnt die Bundesregierung Bestrebungen ab, in den zu verhandelnden Grundsätzen Regelungen zur Internetkriminalität, zu Internetinhalten, zur Netzneutralität oder zu Fragen der Besteuerung von Telekommunikationsdienstleistungen zu treffen.“ Allerdings ist die deutsche Delegation mit 17 Teilnehmern etwas „mickrig“, wie der Spiegel anmerkt. Länder wie Brasilien (52 Teilnehmer) und sogar Nigeria (72) reisen mit deutlich mehr Personal nach Dubai. Geheim ist übrigens auch die genaue Zusammensetzung der deutschen Delegation, von der nur bekannt ist, daß sie aus Vertertern von drei Ministerien (Wirtschaft, Außen, Innen), der Telekom, eines Branchenverbandes und der sogenannten Zivilgesellschaft besteht, von denen jedoch keiner näher identifiziert wurde. Geleitet wird die deutsche Delegarion von einem Abteilungsleiter im Wirtschaftsministerium.

Ein weiterer mächtiger Gegner ist der Internetgigant Google. Der Konzern fürchtet neben neuen Gebühren auch die Bedrohung der Meinungsfreiheit. Diese werde „immer weiter eingeschränkt“, heißt es auf einer Extraseite des Unternehmens: „42 Länder filtern und zensieren heute Inhalte. Allein in den letzten zwei Jahren wurden 19 neue Gesetze erlassen, die die freie Meinungsäußerung im Internet gefährden.

Die vorgeschlagenen Änderungen des Jahrzehnte alten Kommunikationsvertrages, über die die ITU berät, könnten, so Google, „Zensur ermöglichen und Innovation gefährden“. Kämen die Beschlüsse durch, bestehe die Möglichkeit, „die Meinungsfreiheit durch Zensur einzuschränken“. Und: „Staatliche Behörden könnten sogar den Zugang zum Internet unterbinden.“

Erstaunlich ist, daß sie erst jetzt einen ernstzunehmenden Anlauf unternehmen, diese Freiheit zu untergraben und zu zerstören. Der geheime Charakter des Treffens in Dubai gibt ihnen sogar die Gelegenheit, all dies von der Öffentlichkeit relativ unbemerkt zu tun. Dabei steckt in ihm deutlich mehr explosives Potential als beispielsweise in der Vorratsdatenspeicherung.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen