© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/12 07. Dezmber 2012

Sehnsucht nach dem Echten
Ein zorniger Theokrit des Lokus: Peter Handke zum Siebzigsten
Sebastian Hennig

Im 90. Psalm heißt es: „Die Fülle unserer Jahre ist siebzig,/ und ist Kraft uns beschieden, so kommen wir auf achtzig. / Die meisten von ihnen sind Plage und vergebliche Mühe;/ rasch enteilen sie, im Fluge sind wir dahin.“ Die dann folgenden Verse sind auf den Allmächtigen bezogen, könnten aber auch der Selbstherrlichkeit eines Schriftstellers, einem Au-Tor gelten: „ / Wer kann wägen die Gewalt deines Zornes, /wer ermißt in gebührender Furcht deinen Grimm?“

Wenn opportunistisches Gewusel mit soziologischem und feuilletonistischem Mehltau eine verwaiste Arena der Künste überzieht, ist die Selbstherrlichkeit der Könner erforderlich. Auf die Interview-frage: „Wenn Sie (…) auftreten, fühlen sich die Menschen von Ihnen eingeschüchtert ...?“ antwortete Peter Handke: „Hoffentlich!“ Aufgewärmt wurde neulich eine Handgreiflichkeit Handkes gegen einen Zeitungsschreiber aus dem Jahr 1987. Der Abgewatschte widersprach. Doch sein Ohrfeigengesicht widerspricht seiner sonst glaubhaften Darstellung. Die Würde des Menschen ist durchaus antastbar, sofern er es selbst verfügt. Zur Erinnerung: Caravaggio und Cellini ließen es nicht bei Schlägereien bewenden. Sie waren Totschläger und zugleich Stifter herrlicher Werke.

Der am 6. Dezember 1942 in Griffen in Kärnten geborene Peter Handke ist ein präziser Spender nicht nur verbaler Ohrfeigen. Seine permanente Anti-Terror-Einheit gegen journalistische Unsprache wurzelt im Horror vor den Folgen ästhetischer Verwahrlosung: Denn wer der Sprache die Gelenke bricht, der foltert bald auch Menschen.

Handkes zeitiges Eintreten in die Lichtkegel des Literaturbetriebs ließ ihn als „Showboy der jungen Literatur“ als Beat-Dichter und Publikumsbeschimpfer erscheinen. 1966 riß der nachdenkliche junge Mann auf einer Schriftstellertagung in den USA die Aufmerksamkeit an sich, indem er die deutschen Kollegen der „Beschreibungsimpotenz“ zieh.

Aber es ging nicht (nur) darum, sich mit Krawall bemerkbar zu machen. Der 23jährige Handke war keineswegs einer jener lärmenden Nachdränger, die dann im gemäßigten Alter für sich jene Nachsicht erbitten, die sie anderen nie zugestanden haben. Mit der älteren Filmdiva Jeanne Moreau bildet er ein auffälliges Liebespaar, wie dereinst Elenora Duse und Gabriele d’Annunzio. Seine „terra redenta“ entdeckte Handke südlich der Karawanken. Und Pozarevac wird zu seinem Fiume, als er 2006 zur Beerdigung von Slobodan Milosevic eine Grabrede hält.

Fast rührend ist seine unstillbare Sehnsucht nach einem Echten in der Außenwelt. Gleich ob er als 25jähriger der kaufmännisch inszenierten Subversion der Beatmusik auf den Leim ging oder vierzig Jahre später die Sorben der Lausitz als ein autarkes Kulturvolk feiert.

Aber bei gleichbleibender Temperatur kann er unter den lebenden Autoren deutscher Zunge die fesselndste Prosa schreiben. Mit Exaltiertheit Spannung zu erzeugen, ist dagegen weit weniger schwer. Selbst das Anton-Reiser-hafte seiner Selbstbespiegelung wird da erträglich. Wenn er sich beschreibt, dann geschieht es aus der simplen Tatsache der permanenten Verfügbarkeit der eigenen Person, so wie Paul Cézanne seinen Kopf zigmal abkonterfeite, als willigstes Modell seiner Malerei. Was er mit „Wiederholung“ meint, ist das Gegenteil der endlos egomanischen Litaneien eines Walser, Bernhard oder Grass.

Wie es sonst nur noch Ernst Jünger vermochte, weiß Handke mit Distanz und Entschiedenheit den Leser zu ebenso widerstrebender wie vorbehaltloser Beipflichtung zu bewegen. Die Bezeichnung als „Dichter“ hat der Verfasser von „Der Nachmittag eines Schriftstellers“ (1987) immer zurückgewiesen, die Entschärfung des Wortes aus der Offerte witternd, das Gift im Lorbeerkranz. Der Titel eines Autors steht ihm zu.

Nach seinen drei Versuchen über die Müdigkeit (1989), die Jukebox (1990) und den geglückten Tag (1991) hat er als sein jüngstes Buch einen „Versuch über den Stillen Ort“ veröffentlicht. Mit diesem Ort der Ruhe, ist ganz schlicht der Abort gemeint. Er hat sich auch dieses Themas mit Würde entledigt. Die dörfliche Anekdote vom Mädchen, das dem Geistlichen ein Deputat überreicht mit den Worten: „Herr Pfarrer, ich soll sie grüßen von meinen Eltern mit diesen Birnen vom Scheißhausbaum“ läßt sich auf unser Verhältnis zum Schriftsteller übertragen. Vieles klingt daran scheußlich, schmeckt aber vortrefflich. Vom umgekehrten Verhältnis haben wir genug.

Peter Handke: Versuch über den Stillen Ort. Suhrkamp, Berlin 2012, gebunden, 109 Seiten, 17,95 Euro

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