© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/12 07. Dezmber 2012

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Es ist erstaunlich, wie gelassen das Luxemburger Urteil zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) kommentiert wird. Alle Welt geht davon aus, daß die Richter der politischen Räson gefolgt sind, nicht den gesetzlichen Vorschriften. Daran zeigt sich die Abgeklärtheit der Betrachter, aber auch die Schwäche der Judikative im System der Gewaltenteilung. Sie kann sich weder aus sich selbst hervorbringen, noch ihre labile Unabhängigkeit im Ernstfall wahren. Selten muß die Exekutive so weit gehen wie Abraham Lincoln als US-Präsident. Zu Beginn des Bürgerkriegs ließ er einen Haftbefehl gegen den Vorsitzenden des Obersten Gerichts – Roger B. Taney – ausstellen, weil der eine andere juristische Meinung vertrat als Lincoln und die vorbeugende Verhaftung von Sympathisanten des Südens für unrechtmäßig hielt; die Drohgebärde erfüllte umgehend ihren Zweck, eine Vollstreckung war schon nicht mehr notwendig.

Kleines Memento angesichts der Schließung von Kreiswehrersatzämtern und Eröffnung von Karrierecentern durch die Bundeswehr: „Stammtet ihr aus dem Blute von Heroen oder dem der Götter, wenn es welche gab: wenn der Ruhm euch nicht fortwährend berauscht, dann schart euch nicht um seine Fahne. Sagt ja nicht, daß ihr an unserem Berufe Geschmack habt; ergreift einen anderen, wenn euch dieser kalte Ausdruck genügt. Beachtet es wohl: ihr werdet euren Dienst vielleicht klaglos versehen, ihr wißt sogar etwas von den Anfangsgründen, aber ihr werdet nur Handwerker sein; ihr werdet es zu irgend etwas bringen, aber ihr seid keine Künstler. Liebt das Waffenhandwerk mit Leidenschaft und über alles; ja, Leidenschaft ist das richtige Wort. Wenn ihr nicht vom Kriege träumt, wenn ihr nicht Kriegsbücher und Kriegspläne verschlingt, wenn ihr nicht die Fußspuren alter Soldaten küßt, wenn ihr bei der Erzählung ihrer Kämpfe nicht weint, wenn ihr nicht vor Verlangen sterbet, zu sehen, und vor Schande, nichts gesehen zu haben – sei es auch nicht eure Schuld –, dann zieht den Rock, den ihr nicht in Ehren tragt, schnell aus.“ (Charles Joseph Fürst von Ligne)

„Alle Freiheitsapostel, sie waren mir immer zuwider. Willkür suchte doch nur jeder am Ende für sich. Willst du viele befrein, so wag es, vielen zu dienen!“ (Goethe)

Volkstrauertag, ein Dorf in Norddeutschland. Während in der Kirche noch Gottesdienst ist, stehen Männer auf dem Vorplatz, warten im leichten Nieselregen auf den Abmarsch zum Ehrenmal, reden, rauchen, die Fahnen des Kriegervereins und der Freiwilligen Feuerwehr zwischen sich abgestellt. Der eine: „Bist auch nicht drin?“ Der andere: „Nee.“ Der eine: „Warum nich?“ Der andere: „Wegen dem Pastor.“ Der eine: „So?“ Der andere: „Spricht schlecht über unsere Männer.“ Der eine nickt.

Vielleicht ist „Gefährliche Seilschaften“ nicht „die beste Serie der Welt“, wie die Frankfurter Allgemeine kürzlich kurzerhand behauptete. Aber es geht ohne Zweifel um ein außergewöhnliches Stück Fernsehen. Kein üblich-düsterer Skandinavienkrimi, sondern eine ruhig erzählte, im ganzen unspektakuläre, mehr oder weniger präzise Analyse des politisch-medialen Komplexes. Dem Zuschauer wird ein Kreis von drei Dutzend eng miteinander verbundenen Personen aus den Parteien, dem Bereich professioneller Berater und den Medien vorgestellt, der über die Entwicklung der Musterdemokratie und des Musterwohlfahrtsstaats unseres nördlichen Nachbarn entscheidet. Das Volk wirkt als Größe so unerheblich wie die Monarchin. Alle Entscheidungen fallen in Christiansborg (daher der dänische Originaltitel „Borgen“), Sitz von Regierung und Parlament, einer abgeschlossenen, eigenen Welt. Zwar ist die Figur der Regierungschefin Birgitte Nyberg eindeutig als Sympathieträger angelegt, das heißt sie vertritt das Politisch-Korrekte und steht im Zweifel links. Aber moralisch unbeschädigt bleibt sie nicht, und der Zuschauer folgt ihrem und dem Agieren der übrigen hinter den Kulissen, die die Realität des politischen Geschehens sonst verdecken: dem strategischen Vorgehen, dem kurzatmigen Taktieren, den unvermuteten Richtungswechseln, den persönlichen Affekten, den Intrigen, Verrätereien, direkter wie indirekter Korruption, dem Klein-Klein des täglichen Kuhhandels, der Zermürbung der Idealisten und der Penetranz der Weltverbesserer. – Vielleicht ist das Interessanteste an den „Gefährlichen Seilschaften“ der Erfolg als solcher; die Serie wurde in mehr als dreißig Länder verkauft, eine dritte Staffel steht vor dem Abschluß der Produktion. Das kann man eigentlich nur so deuten, daß der TV-Nutzer am Beginn des 21. Jahrhunderts – mindestens der für das Arte-Programm oder vergleichbares interessierbare – entweder so realistisch oder so zynisch ist, daß er auch von der Demokratie nichts anderes erwartet, als das in der Politik seit jeher Übliche. Im Zitatvorspann der Folgen ist übrigens Machiavelli der am häufigsten genannte Autor.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 21. Dezember in der JF-Ausgabe 52/12.

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