© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/12 07. Dezmber 2012

Noch ist Doorn nicht verlor’n
Monarchie: Weil die niederländische Regierung sparen muß, droht dem Exilschloß Kaiser Wilhelms II. die Schließung
Christian Vollradt / Marcus Schmidt

Wer heute Haus Doorn betritt, muß durch den Keller. An der Küche vorbei, in der die zahlreichen kupfernen Töpfe und Pfannen mit den Initialen „W II. IR“ blitzen, als habe das Küchenpersonal gerade eben seine Arbeit beendet, geht es über eine kleine Treppe hinauf in die herrschaftlichen Räume des kleinen Schlößchens in der Nähe von Utrecht in den Niederlanden. Dort fühlt sich der Besucher zurückversetzt in eine andere Zeit, genauer in das neunzehnte beziehungsweise frühe zwanzigste Jahrhundert – und an einen anderen Ort. Nach Preußen.

Denn der bescheidene Landsitz diente Kaiser Wilhelm II. nach seiner Abdankung und der Flucht ins Exil von 1920 bis zu seinem Tode am 4. Juni 1941 als letzter Wohnsitz. Und so ist der Bau bis unter das Dach vollgepackt mit Kunstwerken und Erinnerungsstücken an die preußische Geschichte und an den letzten Kaiser und König. Die Möbel und Gemälde, das Porzellan und die vielen persönlichen Gegenstände des Hohenzollernherrschers stammen zum größten Teil aus den Schlössern in Berlin und Potsdam.

Insgesamt 59 Güterwaggons wurden 1919 in Absprache mit der Reichsregierung mit Gegenständen vor allem aus dem Berliner Stadtschloß und dem Neuen Palais in Potsdam beladen und dem gestürzten Monarchen hinterhergeschickt. Und so vermitteln die Räume in Doorn auf einzigartige Art und Weise ein Bild davon, wie es einst etwa in den längst zerstörten Privaträumen des Kaisers im Berliner Stadtschloß ausgesehen hat.

Doch das museale Kleinod ist in akuter Gefahr. Die Regierung in Den Haag hat ein Sparpaket erlassen, das auch die letzte Wohnstatt des Kaisers bedroht. Denn von den 441.000 Euro „Reichssubventionen“ pro Jahr soll das Museum laut Empfehlung des Kulturrates in Zukunft nur noch genau 216.953 Euro jährlich bekommen. Doch mit diesem Betrag könnte Haus Doorn nicht mehr für das Publikum zugänglich, sondern nur noch als Sammlung wertvoller historischer Gegenstände hinter verschlossenen Türen bestehen bleiben. Genau dies möchte Museumsdirektor Eymert-Jan Goossens auf jeden Fall verhindern: „Haus Doorn muß offenbleiben“, schreibt Goossens im Bulletin des Museums, denn „es ist ein einzigartiges Erlebnis, Kultur und Lebensstil des Kaisers persönlich zu erfahren.“ Gerade die in gut einem Jahr anstehenden Gedächtnisfeierlichkeit zum Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 machten sein Haus unentbehrlich. Der Direktor verweist in diesem Zusammenhang auch auf das Engagement der etwa 130 ehrenamtlichen Mitarbeiter, deren Einsatz er mit einem Wert von rund 700.000 Euro taxiert. Würde das Haus Doorn für die Öffentlichkeit geschlossen, entfielen wiederum auch die 170.000 Euro Eintrittsgelder, die die rund 25.000 Besucher im Jahr hier einbringen.

Für seinen Kampf um den Erhalt des Museums hat Goossens prominente Fürsprecher gewonnen wie etwa den in Cambridge lehrenden australischen Historiker und Wilhelm-II-Biographen Christopher Clark
(JF 6/09). Der bezeichnet das kleine Landschlößchen als „ein dreidimensionales Treffen mit der verschwundenen Welt der europäischen imperialen Monarchie“. Doorn sei der einzige Hof im Exil, „dessen Ambiente und Ausstattungen umfassend konserviert worden sind. Die Sammlung der Gegenstände erlaubt es dem Besucher, die Umgebung, den Geschmack, die Ansprüche und das tägliche Leben des verbannten ehemaligen Monarchen zu erfahren“, stellte der renommierte Preußen-Experte in einem Unterstützungsaufruf fest. Daher bewertet er das Museum als „einzigartige Hilfsquelle“ und einen Ort, „dessen Bedeutung weit über die Niederlande und die Geschichte ihres Verhältnisses zu Deutschland hinausgeht“.

Und tatsächlich vermitteln die Räume des Schlosses auch heute den Eindruck, als sei der Kaiser nur gerade einmal in den weitläufigen Park gegangen, um seiner Lieblingsbeschäftigung im Exil, dem Holzhacken, nachzugehen. Für Besucher aus Deutschland ist es zudem überraschend und ungewohnt, daß die Museumsleitung auf Erklärtexte verzichtet und die Räume für sich sprechen läßt. Hier wird nichts „eingeordnet“ und in einen historischen Kontext gestellt. In der obligatorischen Führung wird ebenfalls auf aufdringliche pädagogische Ermahnungen verzichtet. Die überaus kenntnisreichen Museumsmitarbeiter vermitteln indes genügend Hintergrundinformationen und Anekdoten, um die Räume mit Leben zu füllen, sich in die Zeit Wilhelms II. zurückzuversetzen. Neben unzähligen Gegenständen hatte der Monarch auch das Berliner und Potsdamer Hofleben mit nach Doorn gebracht, wenn auch in einem sehr bescheidenen Rahmen. Das Leben des Kaisers in Doorn, das er nur selten für Ausflüge in die Umgebung verließ, war fest geregelt und bestand in erster Linie aus der Beantwortung von Post, dem Empfang von Besuchern aus Deutschland und abendlichen Gesprächsrunden im Raucherzimmer. Die gemeinsamen Mahlzeiten des kleinen Hofstaates, zu dem auch ein Hofmarschall und ein Adjutant gehörten, bildeten die weiteren „Höhepunkte“ des vielfach als langweilig beschriebenen Lebens.

Nur gelegentlich wurde der monotone Tagesablauf durchbrochen, beispielsweise an den Geburtstagen des Kaisers, oder aber wenn sich Besuch aus dem holländischen Königshaus angesagt hatte. Wilhelm war dem Haus Oranien nicht nur für die Gastfreundschaft dankbar, sondern durch die preußisch-brandenburgische Geschichte auch familiär verbunden – wie übrigens den meisten anderen europäischen Herrscherhäusern auch. Und so ist es kein Zufall, daß Wilhelm II., der auch den Titel eines Prinzen von Oranien trug, die Eingangshalle des Schlosses mit Porträts historischer Persönlichkeiten aus dem Hause Oranien-Nassau schmücken ließ.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Tod des Kaisers war es mit der Freundschaft allerdings vorbei. Das im Besitz der Hohenzollern befindliche Haus Doorn wurde mit sämtlichen Einrichtungsgegenständen und Kunstwerken vom niederländischen Staat enteignet. Für das ehemalige preußische Königshaus, das sich bislang nicht zu der drohenden Schließung des Museums äußern wollte, hat Doorn dennoch immer noch eine große Bedeutung. Nach dem Tode Wilhelms II. ließ die Familie in dem Park für den Kaiser ein Mausoleum errichten. In seinem Testament hatte er verfügt, daß seine Gebeine erst nach Deutschland zurückkehren dürfen, wenn die Monarchie wieder errichtet worden ist.

Für Besucher ist das Mausoleum schon heute verschlossen – Zutritt hat nur die königliche Familie. Museumsleiter Goossens hofft, daß mit dem Protest bei Hollands Regierungsparteien und Kultureinrichtungen verhindert werden kann, daß die Besucher auch im Schloß bald vor verschlossenen Türen stehen. Hoffnung besteht noch. Das neue Kabinett des rechtsliberalen Premierministers Mark Rutte (VVD) will insgesamt 16 Milliarden Euro im Haushalt sparen, hat aber nach Protesten (auch aus seiner eigenen Partei) bereits Teile des Sparpakets wieder zurückgenommen.

Direktor Eymert-Jan Goossens jedenfalls freut sich über Unterstützung auch aus Deutschland, etwa in Form von Spenden oder den Beitritt zum Verein der Freunde von Haus Doorn: „Wir können im Moment alle Aufmerksamkeit gebrauchen“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT.

 

Haus Doorn

Haus Doorn liegt gut zwanzig Kilometer von der Universitätsstadt Utrecht entfernt. Es wurde in der Mitte des 14. Jahrhunderts gebaut und ab 1792 im Stil des Klassizismus umgestaltet. Im Mai 1920 zog der exilierte und vom Thron abgedankte deutsche Kaiser Wilhelm II. hier ein, nachdem er das Anwesen ein halbes Jahr zuvor für 500.000 Gulden erworben hatte. Wilhelm lebte in Doorn bis zu seinem Tod 1941. Sein Sarg steht im kleinen Mausoleum im Park. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wird das Anwesen samt Inventar vom niederländischen Staat enteignet und später in ein Reichsmuseum überführt.

Öffnungszeiten:

Mittwochs, samstags und sonntags von 13 bis 17 Uhr (Wintersaison 1. November bis zum 31. März), erster Weihnachtstag und Neujahrstag geschlossen; dienstags bis samstags 10 bis 17 Uhr, sonntags 13 bis 17 Uhr (Hochsaison 1. April bis zum 31. Oktober).

Eintrittspreise:

Kinder bis 6 Jahre frei, von 7 bis 18 Jahre 4,50 Euro, Erwachsene 9 Euro.

Für eine Spende von mindestens 30 Euro hat man als „Freund von Haus Doorn“ ein Jahr lang kostenlosen Eintritt.

Foto: Büste Kaiser Wilhelms II. vor dem Haus Doorn und Museumsleiter Eymert-Jan Goossens im Arbeitszimmer mit dem berühmten Sattelstuhl : Noch besteht Hoffnung auf Erhalt des historischen Kleinods

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen