© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/12 07. Dezmber 2012

Abwarten und wegducken
Parteitag II: Die CDU unter Merkel ist zu keinen Entscheidungen mehr fähig
Paul Rosen

Mit Karlsruhe ging am vergangenen Sonntag die letzte Großstadt für die CDU verloren. Der schwarze Stammsitz Baden-Württemberg fiel, und die verbliebenen CDU-Ministerpräsidenten großer Länder, David McAllister (Niedersachsen) und Volker Bouffier (Hessen), kennt kaum jemand. Der CDU bleibt die einsame und alternativlose Königin Angela Merkel, die auf dem Parteitag in Hannover eindrucksvoll bestätigt wurde.

Waren Parteitage vor 20 Jahren noch Wegmarken für den künftigen Kurs, so sind diese Treffen heute reine Unterhaltungsveranstaltungen. Genauso war es in Hannover: Scheingefechte statt echter Debatten und Wortgeklingel statt schonungsloser Analyse. „Alle Anträge, die für Streit sorgen könnten, wurden schon im Vorfeld entschärft, geglättet oder zu unverbindlichen Prüfaufträgen erklärt“, wunderte sich der Spiegel über Merkels „Partei der Stille“.

In der Tat war die CDU schon immer mehr Kanzlerwahlverein oder Honoratiorenclub als eine Mitgliederpartei wie die SPD. Aber sie legte Wert auf Repräsentanz der unterschiedlichen Schichten, führte kulturelle und konfessionelle Unterschiede zusammen. Die CDU, erzählte ein ehemaliger Staatssekretär, bestehe eigentlich aus sechs Parteien: Zunächst sind da die drei Flügel: national, liberal und sozial – und das alles noch mal katholisch und evangelisch.

Das ist längst Geschichte. Die CDU von heute kennt keine konfessionellen Unterschiede mehr, einen nationalen oder konservativen Flügel hat sie auch nicht. Statt dessen schmiegt sie sich eng an den Zeitgeist an, wie die zentralen Debattenthemen von Hannover zeigten: Ehegattensplitting für Homosexuelle, Frauenquote in Unternehmen und mehr Rente für Mütter. Nachdem man sich von Atomkraft und Wehrdienst verabschiedet und beim Klimaschutz fast grüner als die Grünen ist, hat die CDU exakt die Themenbreite des ökologistischen Bionade-Bürgertums von Berlin-Mitte erreicht.

Es liegt an der gegenwärtigen Alternativlosigkeit zur CDU für den bürgerlichen Wähler, daß die Partei deutschlandweit in Umfragen bei 40 Prozent notiert. Man wählt CDU, um Jürgen Trittin zu verhindern und um Peer Steinbrück zum Vizekanzler einer großen Koalition zu machen. Und für Merkel, die jetzt sieben Jahre Kanzlerin ist, könnte die Rechnung aufgehen, weiter an der Spitze der Regierung zu stehen.

Dabei ist die Partei nicht einmal mehr zu Entscheidungen fähig. Von Merkels Stellvertretern schieden mit Annette Schavan und Norbert Röttgen zwei aus. Es bewarben sich aber Julia Klöckner (Rheinland-Pfalz), Armin Laschet (Nordrhein-Westfalen) und Thomas Strobl (Baden-Württemberg). Selbst Kennern der CDU ist es nur schwer möglich, größere Unterschiede zwischen den Bewerbern darzustellen und eine Wahlempfehlung abzugeben. Merkel löste das Problem auf ihre Weise, indem die Zahl der Stellvertreter einfach um einen Posten erhöht wurde.

Bouffier, der ebenfalls Stellvertreter ist, ist nie aus dem Schatten der Kanzlerin herausgetreten, sondern das schaffte nur Ursula von der Leyen, der man die Merkel-Nachfolge zutraut, wenn es soweit sein sollte. Allerdings ist die stramme Sozial-Gender-Quoten-Ausrichtung der Sozialministerin ein Hemmnis selbst für Leute, die die CDU zur modernen Großstadtpartei umformen wollen.

Was in der Personalpolitik begann, setzte sich in der Antragsberatung fort. Da gab es die Gruppe der von einigen Medien zu den „Wilden 13“ hochstilisierten teils homosexuellen CDU-Abgeordneten, die gerne das Ehegattensplitting für Homosexuelle einführen möchten. Der CDU-Kreisverband Fulda, gut katholisch und sicher konservativer als der Durchschnitt, widersprach: „Der CDU-Bundesparteitag wendet sich entschieden gegen jeden Versuch, die Förderung und steuerliche Privilegierung der von unserer Verfassung besonders geschützten Ehe und Familie zu schwächen“, schrieben die Hessen in ihrem Antrag, der vor 20 Jahren sicher unter wenig Beachtung einstimmig verabschiedet worden wäre.

Doch das ist heute nicht mehr so. Die Antragskommission, das „Bestattungsinstitut für alles, was dem Partei-frieden abträglich sein könnte“ (Spiegel), nahm das Hessen-Papier als Grundlage und schrieb es um: Jetzt werden auch außerhalb der Ehe „Werte gelebt ..., die grundlegend für unsere Gesellschaft sind“. Die nichtssagenden Formulierungen werden zusammengepackt mit Hinweisen auf ein im kommenden Jahr erwartetes Urteil des Verfassungsgerichts, das man dann „umsetzen“ müsse. Der Verweis auf Karlsruhe zeigt: Die CDU will sich gar nicht entscheiden. Lehnt das Gericht das Splitting für Schwule ab, atmen die ländlichen Verbände vielleicht auf und warten gespannt auf das nächste Urteil, das dann gewiß anders aussehen wird. Das Abwarten, Wegducken, Nichtgestalten und Devotentum hat nicht nur gegenüber Europa Methode. Merkel lebt allerdings prima mit dieser Richtungs- und Orientierungslosigkeit, die sie selbst mit den Begriffen Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit und christlichem Menschenbild zu vertuschen versucht.

Die CDU ist wegen ihrer inhaltlichen Leere derzeit theoretisch mit jeder anderen Partei koalitionsfähig, die Linkspartei vielleicht noch ausgenommen. Mit ihrer personellen und inhaltlichen Beliebigkeit ist die Union längst überflüssig. Wenn der Wähler das begreift, und er wird es irgendwann begreifen, geht die CDU den Weg ihrer italienischen Schwester Democrazia Christiana und weiterer ehemaliger C-Parteien – den Weg in die Vergessenheit.

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