© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/12 07. Dezmber 2012

Am anderen Ufer
Innere Sicherheit: Mit gemeinsamen Streifen im Grenzgebiet zu Polen und Tschechien versucht die Polizei, der Kriminalität Herr zu werden
Paul Leonhard

Den ausgestreckten Zeigefinger und das höhnische Grinsen der beiden Kriminellen wird Jens Neumann sobald nicht vergessen. Den herbeigeeilten deutschen Polizisten behagte die Situation wenig. Die sahen die Diebe, sie sahen die gestohlenen Kabel, aber eingreifen konnten sie nicht. Denn die beiden Polen standen jenseits der Neiße. Und polnisches Hoheitsgebiet betreten dürfen deutsche Polizisten lediglich im Fall der direkten Nacheile. Der Fall hat sich Ende November im Dreiländereck bei Zittau ereignet und ist in seiner Brisanz nur bekanntgeworden, weil sich Unternehmer Neumann ob der Dreistigkeit der Diebe an die Öffentlichkeit gewandt hat.

Auch die Handwerkskammern in den Grenzbezirken schlagen Alarm. Es mehren sich Klagen von Unternehmern, denen die Kundenfahrzeuge oder die Lager ausgeräumt wurden. Durch den Diebstahl von Kupferleitungen kommt es zu Produktionsausfällen. Eine Eisenbahngesellschaft mußte den Betrieb der teilweise über polnisches Gebiet führenden Bahnstrecke zeitweise einstellen. Bei einer Umfrage der Dresdner Kammer stuften nur zwei Prozent der Unternehmer die Sicherheitslage im Raum der deutsch-polnischen Grenzstadt Görlitz als „gut“ ein. 66 Prozent der Befragten gaben an, innerhalb der vergangenen zwölf Monate bestohlen worden zu sein. Unzufriedener mit der Sicherheitslage als noch vor einem Jahr sind im Bereich der Handwerkskammer im brandenburgischen Cottbus 46 Prozent der Betriebe. Die durch Einbrüche und Diebstähle entstandenen Schäden seien für eine Reihe von Unternehmen existenzgefährdend, sagt der Kammerpräsident Peter Dreißig.

Spätestens seit in einigen Grenzgemeinden wieder der Ruf nach Bürgerwehren laut geworden ist, widmet sich die Politik den Ängsten der Grenzlandbewohner. Sachsens neuer Landespolizeipräsident, Rainer Kann, kündigte bei seiner Amtseinführung Ende Oktober an: „Wir werden allen Themen, die das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung beeinträchtigen, gehörige Aufmerksamkeit widmen.“ Dazu gehöre die grenzbezogene Kriminalität.

Nachdem Sonderkommissionen und gemeinsame Streifen von Zoll, Bundes- und Landespolizei nicht den gewünschten Erfolg erzielten, sollen es jetzt Sondereinheiten wie die im Juli 2010 gebildete Gemeinsame Fahndungsgruppe Neiße (GFG Neiße) richten. Die paritätisch mit deutschen und polnischen Polizisten besetzte Einheit hat sich bewährt und wird ab Januar von zehn auf 20 Beamte aufgestockt. Sie darf auf beiden Seiten der Grenze operieren. Eine ähnliche Gruppe mit jeweils fünf Polizisten soll es künftig an der sächsisch-tschechischen Grenze geben.

Eine Handvoll neuer Polizisten sind aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Zwar konnte die GFG Neiße unter anderem einen gestohlenen Radlader und weitere Baufahrzeuge auf einem polnischen Schrottplatz sicherstellen sowie mehrere in Berlin gestohlene Autos in einem Garagenkomplex, den eigentlichen Druck auf Kriminelle bauen aber die Kontrollen der Bundespolizei entlang der Autobahnen und Grenzübergänge auf. Diese übernimmt dabei Aufgaben, die eigentlich der Landespolizei obliegt. Aber deren Reviere wurden aus Kostengründen ausgedünnt, was erklärt, warum sich die Bundesländer entlang der Grenze zu Tschechien und Polen so energisch gegen den Abzug von Bundespolizisten sperren. Trotzdem wurden seit der Bundespolizeireform 2008 allein innerhalb der Bundespolizeidirektion Pirna bereits 750 Stellen gestrichen, rechnete der SPD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Polizeipräsident Wolfgang Gunkel schon im Frühjahr vor. Weitere 450 Bundespolizisten wurden seitdem in den Westen versetzt.

Die Stellenpläne der Polizeieinheiten sind ohnehin nur Makulatur, da in Grenznähe stationierte Bundespolizei je nach Bedarf im Landesinneren eingesetzt wird, beispielsweise auf den Flughäfen. Ebensowenig ist den Statistiken zu glauben, mit denen Bundes- oder Länderinnenminister nachweisen wollen, daß die Zahl der Straftaten an der Grenze zurückgehe oder stagniere. So versicherte der Chef der Polizeidirektion Oberlausitz-Niederschlesien im Juni auf einer Pressekonferenz, daß die Kriminalität im deutsch-polnisch-tschechischen Grenzgebiet rückläufig sei. Wurden in der Region um Bautzen und Görlitz vor zehn Jahren noch mehr als 50.000 Straftaten erfaßt, so seien es im Jahr 2011 nur noch 38.000 gewesen. Und in der polnischen Grenzregion sei die Kriminalität in den vergangenen elf Jahren gar um 65 Prozent zurückgegangen.

In Brandenburg hat ein genervter Unternehmer eine eigene Statistik veröffentlicht. Er hatte 92 Kunden und Bekannte auflisten lassen, wie groß ihr Schaden durch Diebstahl war. Die Petition, die er im Dezember an den Landtag in Potsdam schickte, listete einen Schaden von 2,2 Millionen Euro auf. Die Aufklärungsrate lag bei Null.

Bayern und Sachsen haben erneut die verdachtsunabhängigen Kontrollen an der Grenze zu Tschechien verstärkt. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) begründete das mit dem zunehmenden Drogenschmuggel. Da die Kontrollen von tschechischen Bürgern als diskriminierend empfunden werden, hat Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) vorgeschlagen, künftig mit gemischten tschechisch-bayerischen Streifenbesetzungen zu kontrollieren.

Foto: Polizisten aus Deutschland und Polen gemeinsam unterwegs: Tropfen auf den heißen Stein

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen