© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/12 30. November 2012

Zeitschriftenkritik: Brand eins
Das Streben nach Glück
Werner Olles

In ökonomischen und politischen Krisenzeiten muten Begrifflichkeiten wie „das gute Leben“ oder „Glücklichsein“ fast schon ein wenig frivol an. Wer es dennoch unternimmt darüber nachzudenken, gilt schnell als übermütig oder zumindest als unverbesserlicher Optimist beziehungsweise Schönredner. Das im 14. Jahrgang erscheinende Wirtschaftsmagazin Brand eins läßt sich von derlei kritischen Zuschreibungen jedoch nicht abschrecken und thematisiert in seiner aktuellen Ausgabe (Heft 12, Dezember 2012) „Das gute Leben“ – unter der Hinzufügung, dies sei „nichts für Feiglinge“ – gar als Schwerpunkt. Und in ihrem Editorial setzt Chefredakteurin Gabriele Fischer noch eins drauf mit der forschen Behauptung, Überfluß sei „nicht grundsätzlich schlecht“, und überhaupt werde „das gute Leben“ heute ja kaum noch mit materiellen Werten identifiziert.

Da mag nun gewiß etwas dran sein, denn ein Leben ist sicher noch nicht als gelungen zu bezeichnen, nur weil man vielleicht ein paar Millionen gehortet hat. Andererseits kann wirklichen Verzicht nur derjenige üben, der genug hat. Das Problem mit dem guten Leben ist also komplexer, als man glaubt, was auch damit zu tun hat, daß bereits die Vorstellung davon eine höchst individuelle Angelegenheit ist. So stellt Wolf Lotter seinem Einführungsbeitrag „Gut & reichlich“ dann auch ein Zitat von Leo Tolstoi voraus: „Damit die Lage der Menschen besser wird, müssen die Menschen selbst besser werden.“

Freilich deckt sich diese Aussage kaum mit der Geschichte, die der Autor am Leser vorüberziehen läßt: Vom gewaltigen Börsenkrach des Jahres 1873 über den größten Goldrausch aller Zeiten, der im August 1896 am Klondike River in der Grenzregion von Alaska und Kanada ausbrach, bis hin zur berühmten Phrase vom „Pursuit of Happiness“, die die Väter der amerikanischen Verfassung einst formulierten, und die bis heute konsequent mit „Recht auf Glück“ falsch übersetzt wird. Tatsächlich war damit eine Gesellschaft gemeint, in der jeder die Möglichkeit haben sollte, nach seinem individuellen Glück zu streben, keineswegs ging es um falsche Glücksversprechungen oder euphorische Wallungen.

Was indes ein gutes Leben ausmacht, bestimmen inzwischen weitgehend politisch korrekte Ideologen, einst jene des Kapitalismus, heute die der moralischen Effizienz. Erkennbar sind sie an der inflationären Benutzung solcher Termini wie „Nachhaltigkeit“, „moralisch richtige Konsumtion“, „Vielfalt“ oder „Zivilgesellschaft“. In Szene gesetzt hat jenen Wertwandel ein Establishment – wie die Achtundsechziger sagten –, das sich nun selbstbewußt zum „postmateriellen Milieu“ zählt, und nicht ohne Erfolg, aber durchaus mit volkspädagogischem Eiferertum versucht, der noch unentschlossenen Restbevölkerung mittels Politik, Kultur und Medien unentwegt zu suggerieren, woran sie sich zu orientieren habe und wie die Zukunft auszusehen hat. Keine schönen Voraussetzungen für ein gutes Leben.

Kontakt: Brandeins Medien AG, Speersort 1, 20095 Hamburg. Das Einzelheft kostet 7,60 Euro, das Jahresabo 79,80 Euro.

www.brandeins.de

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