© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/12 30. November 2012

Die üblichen Reflexe
Schleswig: Die Öffentlichkeit reagiert aufgeschreckt auf einen angeblich fremdenfeindlichen Überfall – bis herauskommt, daß alles ganz anders war
Christian Schreiber

Es hätte so schön ins Bild gepaßt. Eine Gruppe ausländischer Gäste macht in Deutschland Urlaub und wird prompt von Rechtsextremisten überfallen. In Zeiten von NSU-Affäre und Diskussionsrunden zum Thema „Rechte Gefahr“ ereignete sich Anfang November in Schleswig ein Vorfall, der wie gemacht schien, um die Faschismuskeule zu schwingen.

Eines Nachts wurde dort eine französische Austausch-Auszubildendengruppe überfallen. Die Täter hatten sich Zugang zum Internatsgebäude des Berufsbildungszentrums verschafft, wo die Gruppe untergebracht war. Angeblich seien die Bewohner mit Faustschlägen traktiert und fremdenfeindliche Parolen gerufen worden. So weit die Darstellung der Betroffenen. Es dauerte nicht lange und die Angelegenheit nahm Fahrt auf. Der sattsam bekannte Antifa-Journalist Andreas Speit von der taz nahm die Aussagen der Franzosen für bare Münze, obwohl die Polizei schnell klarstellte: „Die genauen Hintergründe sind nicht geklärt.“ Doch die taz stellte einen reißerischen Artikel ins Internet und garnierte das Ganze noch mit Verweisen zu Statistiken „rechter Gewalt“. Ausführlich kam auch der Begleiter der Jugendgruppe zu Wort: „Der Schock sitzt tief.“ Aber abreisen wolle niemand, versicherte er.

Aufgeschreckt von der medialen Hysterie griffen die üblichen Reflexe um sich. Die Schule kündigte umgehend an, sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren. Schülervertretung und Lehrerschaft wollen, daß das Berufsbildungszentrum eine „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ wird. „Wir hoffen, so pädagogisch nachhaltig wirken zu können“, sagte der Schulleiter gegenüber der taz. Als erster Schritt müsse eine Erklärung gegen „Diskriminierung, insbesondere Rassismus“ beschlossen werden, die mindestens 70 Prozent aller Schüler, Lehrer und Mitarbeiter unterschreiben müssen. Außerdem müsse die Schule Projekte zum Thema anbieten.

Bei soviel „Zivilcourage“ durfte natürlich auch die Landespolitik nicht fehlen. „Es ist beschämend“, sagte die Kieler Bildungs- und Wissenschaftsministerin Waltraud Wende, die eigens zu einer Kundgebung angereist war. Die Feigheit und die Heimtücke der Täter seien „erschreckend“, sagte sie voller Empörung. Zuvor hatte sie gemeinsam mit 1.500 Schülern und Lehrern zu einer Solidaritätskundgebung für die „Betroffenen“ versammelt. Die Aufregung war so groß, daß auch CDU-Landeschef Jost de Jager anreiste und sich der Landtag von Schleswig-Holstein verpflichtet sah, eine Aktuelle Stunde zum Thema Fremdenhaß zu beantragen.

Rückblickend war dies etwas voreilig. Denn die „Betroffenen“ waren alles, nur keine harmlosen Austauschschüler. Und die „Täter“ waren keine randalierenden, von Fremdenhaß getriebenen Deutschen, sondern Drogenhändler: „Es war kein Fremdenhaß im Spiel, sondern es ging um Drogengeschäfte und einen handfesten Konflikt, der sich bis zur Eskalation am Berufsbildungszentrum hochgeschaukelt hat“, schrieb der Schleswig-Holsteiner Zeitungsverlag zähneknirschend. Hatte dieser doch zuvor ausdrücklich Zivilcourage von Schule und Politik gelobt. Ursache der nächtlichen Auseinandersetzung war nach Polizeiangaben der Drogenkauf zweier Austausch-Auszubildenden. Dabei kam es in den Räumen des Internats zum handfesten Streit, weil die Käufer glaubten, nicht die vereinbarte Menge weicher Drogen erhalten zu haben. Daraufhin seien die Dealer geflüchtet, später aber mit Verstärkung zurückgekehrt. Daraufhin flogen die Fäuste, drei Franzosen wurden leicht verletzt. „Ein fremdenfeindlicher Hintergrund ist mittlerweile auszuschließen“, teilte die Staatsanwaltschaft mit.

Angesichts dieses Reigens an Peinlichkeiten versuchen Schule und Politik nun den Vorfall herunterzuspielen. Die Schule räumte immerhin ein, man habe vielleicht etwas vorschnell reagiert, man müsse daraus lernen, künftig die Ermittlungsergebnisse abzuwarten. Gleichwohl sei ein Zeichen für Zivilcourage richtig gewesen. Der Austausch-Organisator drohte, alle am Drogenhandel Beteiligten persönlich nach Frankreich fahren zu wollen. Er sei „maßlos enttäuscht“. Nur die taz hat nicht reagiert. Der Speit-Artikel samt Verlinkung zur „Rechten Gefahr“ stand am Dienstag noch immer im Netz. Es hätte ja auch ins Bild gepaßt.

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