© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/12 30. November 2012

Schmick allein zu Hause
Berlin: Bereits zum zweiten Mal ist ein Lehrer wegen falscher Anschuldigungen in die Mühlen der Schulverwaltung geraten
Marcus Schmidt

Heute würde Karl-Heinz Schmick vermutlich ein anderes Beispiel wählen. „Alle Neger sind Menschen, aber nicht alle Menschen sind Neger.“ Dieser Merksatz war dem Berliner Lehrer Anfang September spontan eingefallen, als er Schülern den Unterschied zwischen Einzellern und Bakterien erklären wollte. Dies hatte er zunächst vergeblich mit dem Satz „Alle Bakterien sind Einzeller, aber nicht alle Einzeller sind Bakterien“ versucht. Doch damit konnten nicht alle Neunt- und Zehntkläßler, denen er an diesem Tag Vertretungsunterricht in Biologie erteilte, etwas anfangen. Also versuchte er es mit dem Merksatz „aus meinem alten Mathebuch“.

Hätte Schmick darauf verzichtet, wäre ihm einiges erspart geblieben: die Ermittlungen des Staatsschutzes, der Wirbel in der Presse, der Ärger mit der Schulverwaltung, und vor allem würde er heute noch an der Berliner Friedrich-Bayer-Schule unterrichten. Denn kaum war das Wort Neger gefallen, bezeichnete ein Schüler dies als „rassistisch“. Daraus entspann sich eine Diskussion, in der Schmick erläuterte, daß das Wort Neger nicht beleidigend sei – im Gegensatz zu dem Schimpfwort „Nigger“. Um den Unterschied zu verdeutlichen, schrieb er beide Begriffe kurzerhand an die Tafel.

Schon während der Diskussion hätten zwei Schüler den Raum verlassen, berichtet Schmick. Vor der Tür trafen sie auf eine Mitschülerin aus Kamerun. Was genau sie dem 16 Jahre alten Mädchen erzählt haben, bleibt unklar. Doch plötzlich sei die Schülerin in den Klassenraum gestürmt und habe ihm mit Verweis auf die Wörter Neger und Nigger an der Tafel Rassismus vorgeworfen, sagt Schmick. Obwohl er das Mädchen des Raumes verwiesen hatte, ging der Streit später auf dem Schulhof weiter. Schließlich griff der Schulleiter ein und schickte beide nach Hause. Am nächsten Tag zeigte das Mädchen, das sich durch den Lehrer rassistisch beleidigt fühlte, Schmick an. Angeblich soll er zu ihr gesagt haben: „Du kannst dich freuen, daß Nigger auch Menschen sind.“ Dann ging alles ganz schnell: Der 63jährige wurde vom Unterricht freigestellt, der Staatsschutz der Polizei übernahm die Ermittlungen.

„Die Beamten haben sehr korrekt ermittelt“, sagt Schmick heute rückblickend. So seien 20 Schüler vernommen worden. Diese stützten offenbar die Darstellung des Lehrers, daß er lediglich den Unterschied zwischen den beiden Wörtern erklärt und die Schülerin nicht als „Niggerin“ beschimpft habe. Die Staatsanwaltschaft, die wegen Beleidigung und Volksverhetzung ermittelte, sah das genauso. Anfang November stellte sie das Verfahren ein. Zuvor hatte sich sogar ein Sprachwissenschaftler mit einem Gutachten zu Wort gemeldet. Ergebnis: Während ältere Menschen wie der 63 Jahre alte Lehrer das Wort Neger noch ohne „Problembewußtsein“ nutzten, sei es unter jüngeren Leuten ein Unwort.

Also alles wieder gut? Nicht für Karl-Heinz Schmick, der immer noch zu Hause sitzt und nicht weiß, ob er jemals wieder unterrichten kann. Eine Rückkehr an seine alte Schule scheint ausgeschlossen. In den vorgezogenen Ruhestand möchte er aber auch nicht gehen. Ob und wann seine Suspendierung aufgehoben wird, ist völlig ungewiß. Auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT hieß es aus der Senatsschulverwaltung, man äußere sich nicht zu „Personaleinzelangelegenheiten“. Vermutlich wird erst noch geprüft, ob Schmick, auch wenn er strafrechtlich nicht zu belangen ist, trotzdem ein Dienstvergehen begangen haben könnte.

Der Lehrer drängt unterdessen auf seine Rehabilitierung. Nicht ohne Grund. Er war schon einmal in die Mühlen der Schulverwaltung geraten, die ihn zwischen 2000 und 2007 suspendiert hatte. Länger war noch nie ein Lehrer in Berlin kaltgestellt worden.

Anlaß war ein im Mai 2000 an Schmicks damaliger Schule kursierendes Flugblatt, das ihm unterstellte, in seinem Unterricht Verbrechen der Wehrmacht verharmlost und sich rassistisch geäußert zu haben. Einer eigens gegründeten Elterninitiative gehörte damals auch der Fernsehmoderator Günther Jauch an. Nach dem Gang durch die Instanzen blieb von den Vorwürfen nicht viel übrig, und Schmick durfte wieder unterrichten. Dennoch galt Schmick seitdem als „vorbelastet“. Und auch jetzt scheint trotz der Einstellung des Verfahrens sicher: Irgend etwas bleibt immer hängen.

Foto: Vom Dienst als Lehrer suspendiert: Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt

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