© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/12 30. November 2012

Eine Partei wie jede andere
Bundesparteitag: In Bochum liefern sich die Piraten endlose Diskussionen um ein austauschbares Grundsatzprogramm
Henning Hoffgaard

Gegen 18.30 Uhr am vergangenen Sonnabend erreicht die Stimmung auf dem Parteitag der Piraten in Bochum ihren Tiefpunkt. Seit fast zwei Stunden diskutieren knapp 2.000 Mitglieder denselben Antrag. Dabei war der bereits zweimal mit einer satten Mehrheit angenommen worden. Es geht um die Beseitigung aller angeblich bestehenden Diskriminierungen. Eigentlich kein Thema, über das die Piraten sonst kontrovers diskutieren.

Zwei Worte machen den Antrag PA048 für den linken Parteiflügel allerdings unannehmbar. „Nationale Identität.“ Soll die etwa neben „gesellschaftlichen Eigenheiten“, „Mentalitäten“ und „Sprache“ auch geschützt werden, fragen sich viele Piraten. Damit könne man auch „schwedischen Neonazis“ Asyl gewähren, empört sich eine junge Frau auf der Bühne. Von „nationalistischem Kackscheiß“ und „klar rechtsextremen Formulierungen“ ist auf den Fluren die Rede. Besonders der Berliner Landesverband macht Druck. Schließlich muß zum dritten Mal abgestimmt werden.

Am Ende paßt das Ergebnis. Der Antrag erreicht nicht mehr die nötige Zweidrittelmehrheit, wird aber am nächsten Tag doch noch angenommen. Ohne „die beiden bösen Wörter“, wie der Versammlungsleiter sagt. Statt „Nationaler Identität“ steht im Text nun „Kulturelle Identität“. Als dann auch noch eine Piratin auf der Bühne von „Volkssouveränität“ spricht, ist der Spaß ganz vorbei. Ein Raunen geht durch die Reihen. Oliver Höfinghoff, antifaschistischer Sprecher der Berlin-Fraktion streckt der Frau empört seinen Mittelfinger entgegen. Der Antrag fällt entsprechend deutlich durch. Eigentlich ein Fall für das extra eingesetzte „Awareness Team“, bei dem sich vor Ort jeder melden kann, der sich irgendwie diskriminiert fühlt.

Da jede Minute des Parteitages am vergangenen Wochenende die Piraten nach eigenen Angaben bis zu 100 Euro kostet, wird allein die Diskussion zur Diskriminierung die klamme Parteikasse (etwa ein Drittel der Piraten zahlt keine Mitgliedsbeiträge) mit etwa 8.000 Euro belastet haben. Geld und Zeit, die auf dem Parteitag eigentlich anders verplant waren. 50 Anträge sollten behandelt werden, um das schmale Grundsatz- und Wahlprogramm bis zur Bundestagswahl 2013 kräftig aufzumöbeln. Statt Sachdebatte ging es gerade am Sonnabend jedoch fast nur um eines: Geschäftsordnungsanträge. Die kann jeder Anwesende stellen.

Und wenn es dazu gerade nichts gab, wurden prompt Anträge zur Tagesordnung gestellt. „Wir müssen schnell was durchboxen“, sagt ein Pirat sichtlich entnervt. Das gelingt dann auch irgendwie. Zwar merken einige Redner an, die meisten Anträge seien gar nicht durchgelesen worden, beschlossen wird trotzdem fleißig. Nach mehrstündiger Diskussion können sich die anwesenden Mitglieder auf ein Wirtschaftsprogramm einigen. Ließen allerdings einige Absätze, in denen etwa von „sozialer Marktwirtschaft“ die Rede war, wegen angeblicher „FDP-Nähe“ durchfallen. Übrig blieben dann etwa Aussagen wie: „Die Wirtschaftspolitik der Piratenpartei basiert auf einem humanistischen Menschenbild.“ Mindestlohn wird zur „Brückentechnologie“ und die Vollbeschäftigung als sozial nicht wünschenswert abgelehnt. Jeder solle stattdessen „gerecht am Gesamtwohlstand beteiligt“ werden. Am besten über ein bedingungsloses Grundeinkommen. „Dieser Antrag hätte auch bei Linken und Grünen gestellt werden können“, heißt es von einigen.

Auch bei anderen Themen, wie etwa der Umwelt-, Außen-, Gesundheits- oder Landwirtschaftspolitik bleibt es unkonkret. „Der Mensch steht im Mittelpunkt“, heißt es in vielen Texten. Da würde wohl kein Politiker widersprechen wollen. Und wenn es dann doch mal etwas genauer wird, geraten die Piraten plötzlich in die Zwickmühle, ihre Pläne zu erklären. Ablehnung der Massentierhaltung bei gleichzeitiger Kürzung der Landwirtschaftssubventionen? Deutsche Bauern könnten so wohl kaum noch mit ihren weltweiten Konkurrenten mithalten.

Aber um solche Detailfragen geht es den Piraten nicht. Die sollen auf einem für Anfang 2013 angesetzten Parteitag geklärt werden. Vielleicht. Zwar ergibt ein spontanes Meinungsbild, daß die meisten fürs erste keinen neuen Vorstand wählen wollen. Viele daheimgebliebene Piraten sehen das jedoch offenbar anders. Sie wollen die Führungsriege um Parteichef Bernd Schlömer, dessen Rede bestenfalls mäßigen Applaus bekommt, und Johannes Ponader am liebsten so schnell wie möglich abwählen. Ein entsprechendes Mitgliederbegehren wurde dazu bereits Anfang der Woche gestartet. Zumindest zu einem Thema hat sich die Partei deutlich positioniert. Der Jugendschutz soll, trotz eindringlicher Appelle von Sozialarbeitern, weitgehend gelockert werden. So sollen Kinder und Jugendliche künftig selbst entscheiden können, welche Kinofilme sie schauen.

Daß die Wähler diese Forderungen honorieren, steht für die meisten Piraten außer Frage. Oft ist bereits von der „künftigen Bundestagsfraktion“ die Rede. In den Umfragen dümpeln die Piraten derzeit allerdings um die vier bis fünf Prozent. Von früheren Spitzenwerten nahe an den 15 Prozent ist längst keine Rede mehr. „Der Wiedererkennungswert ist verlorengegangen“, meint ein enttäuschter Pirat ernüchtert.

Foto: Mühselige Arbeit auf dem Parteitag: Plötzlich geraten die Piraten in die Zwickmühle, ihre Pläne erklären zu müssen

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