© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

Hundert Jahre Volksaufklärung
Das Deutsche Hygiene-Museum Dresden feiert sich selbst mit einem runden Jubiläum, obwohl es erst 1930 eröffnet worden ist
Paul Leonhard

Das Deutsche Hygiene-Museum Dresden feiert am 24. November mit einem Tag der offenen Tür seine Gründung vor einhundert Jahren. Ein merkwürdiges Jubiläum, denn die Grundsteinlegung für das Gebäude fand erst vor 85 Jahren statt, und eröffnet wurde das Museum 1930 anläßlich der II. Internationalen Hygiene-Ausstellung.

Warum trotzdem in diesem Jahr gefeiert wird, weiß Museumssprecher Christoph Wingender: Vor einhundert Jahren veröffentlichte Karl August Lingner (1861–1916) seine Denkschrift zur Errichtung eines Nationalen Hygiene-Museums. Dieses sollte eine „Stätte der Belehrung sein für die ganze Bevölkerung, in der jedermann sich durch Anschauung Kenntnis erwerben kann, die ihn zu einer vernünftigen und gesundheitsfördernden Lebensführung befähigen“.

Dieses Dokument von 1912 gilt als die eigentliche Geburtsurkunde des Deutschen Hygiene-Museums. Der Dresdner Unternehmer Lingner, der durch die Produktion und Vermarktung des Mundwassers Odol reich geworden war, gehörte 1911 zu den Protagonisten der I. Internationalen Hygiene-Ausstellung, zu der mehr als fünf Millionen Besucher nach Dresden kamen. Und er hatte nicht nur die Idee zu einem Museum, sondern spendete mit 6,4 Millionen Reichsmark das nötige Geld.

Als das Museum 1930 eröffnet wurde, war seine größe Attraktion der „Gläserne Mensch“, eine aus dem transparenten Kunststoff Cellon hergestellte männliche Figur, bei der Blutbahnen, Nerven und Organe des menschlichen Körpers sichtbar wurden. Dieses von den Museumswerkstätten hergestellte Modell wurde zu einem Verkaufsschlager. Die 1935 hergestellte „Gläserne Frau“ ging jahrelang auf Tournee durch die USA. Neu war auch der Typus eines Sozialmuseums, daß einen mündigen Staatsbürger über die neuesten Erkenntisse der Medizin und Biologie aufklären sollte.

Diesem blieb das Hygiene-Museum in den beiden folgenden Diktaturen treu, auch wenn Ausstellungen zunehmend von pseudowissenschaftlichen Auswüchsen der Rassenideologie geprägt wurden. Expositionen wie „New Eugenics in Germany“ 1934 in den USA und „Wunder des Lebens“ 1935 in Berlin fanden große Beachtung. Mehr als zehn Millionen Besucher haben die Wanderausstellungen des Deutschen Hygiene-Museums im In- und Ausland zwischen 1933 und 1945 besucht.

Die kommunistische Diktatur versuchte wiederum die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung „wissenschaftlich“ zu untermauern. Gleichzeitig blieb das Museum ein Ort der Aufklärung in Sachen Gesundheit. Trotzdem war das Hygiene-Museum außerhalb Dresdens aus dem Bewußtsein verschwunden. Erst nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde mit dem Stuttgarter Martin Roth ein Mann zum Direktor berufen, der den nötigen Ehrgeiz besaß, an die alte Größe des Hauses anzuknüpfen.

Dem Kulturwissenschaftler gelang es, mit einer ganzen Serie aufsehenerregender Ausstellungen das Museum aus seinem Dornröschenschlaf zu reißen. Insbesondere die große Schau „Darwin und Darwinismus“ sorgte 1994 europaweit für Anerkennung. Roth, der schnell das brachliegende Potential des Hauses erkannt hatte, stellte sich kein geringeres Ziel, als „das Museum des 21. Jahrhunderts“ zu schaffen. Hier wollte er Forschung und Darstellung interdisziplinär zusammenbringen, mit „anstößigen“ Ausstellungen Aufmerksamkeit erregen und Wirtschaft und Wissenschaft ermuntern, in das Vorhaben eines Hygiene-Museums zu investieren.

Gleichzeitig galt es, das im Krieg zum Großteil zerstörte und nur notdürftig wieder aufgebaute Gebäude, für einen modernen Museumsbetrieb umzugestalten. Roth setzte durch, daß das Museum aus einer nachgeordneten Behörde des sächsischen Sozialministeriums in eine Stiftung bürgerlichen Rechts überführt wurde. Das Haus sollte funktionsfähig und gänzlich ideologiefrei rundum auf das Wohl des Menschen ausgerichtet sein. Bis auf die Ideologiefreiheit ist das Roth weitgehend gelungen, auch wenn es länger gedauert hat, als einst angenommen.

Ein Grund dürfte der zeitige Weggang Roths sein, der erst für die in Hannover stattfindende Expo 2000 freigestellt und später zum Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ernannt wurde. Sein Nachfolger und voriger Stellvertreter Klaus Vogel hat längst nicht mehr das Streit- und Durchsetzungspotential Roths. Am deutlichsten wurde das bei der Schau „Mythos Dresden“ 2006, die der Political Correctness in der Darstellung besonders der Bombardierung 1945 Rechnung trug und bei den alten Dresdnern mit Erbitterung zur Kenntnis genommen wurde.

Mit am längsten wurde an der Dauerausstellung „Abenteuer Mensch“ getüftelt. Diese thematisiert heute auf 2.500 Quadratmetern mit mehr als 1.300 Exponaten den Menschen in den sieben Bereichen „Der gläserne Mensch“, „Leben und Sterben“, „Essen und Trinken“; „Sexualität“, „Erinnern – Denken – Lernen“, „Bewegung“ sowie „Schönheit, Haut und Haar“. Ergänzt wird diese durch ein Kindermuseum sowie ein breit gefächertes wissenschaftliches und kulturelles Programm mit Vorträgen, Diskussionen, Lesungen, Konzerten und interdisziplinären Tagungen. Eine solche wird es auch am 22. und 23. November geben. Das Thema lautet: „Wozu Museen? Eine Lagebestimmung unter Freunden.“

www.dhmd.de

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