© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

Bombenstimmung unter der eisernen Kuppel
Israel-Gaza-Konflikt: Sowohl Israels Regierung als auch die Hamas nutzen die Gewalteskalation zur internen Profilierung
Thorsten Brückner

Gäbe es die Eiserne Kuppel nicht, wäre Israel schon längst in den Gaza-Streifen einmarschiert“, sagte der republikanische US-Senator John McCain dem Sender CBS. Das Abwehrsystem gegen Kurzstreckenraketen ist in Israel der gefeierte Held der seit Mittwoch vergangener Woche aufgeflammten Kämpfe zwischen der Hamas und Israel. Bis zu 90 Prozent aller Raketen auf Städte, die von dem System geschützt werden, wurden laut Angaben der israelischen Armee bisher abgefangen. Völlig rehabilitiert scheint damit auch Amir Peretz, israelischer Verteidigungsminister von 2006/2007, der nach vermeintlichen Fehlern im Libanonkrieg zurücktreten mußte und als Vater des Systems gilt, welches er seinerzeit gegen heftige Widerstände durchgesetzt hat.

Obwohl die Hamas mit dem Beschuß Tel Avivs und der Hauptstadt Jerusalem Israels „Rote Linien“ überschritten hat, konnte eine Bodenoffensive, die das Leid besonders unter der palästinensischen Zivilbevölkerung vergrößert hätte, wohl vermieden werden. Dies vor allem deshalb, weil trotz der über 700 auf Israel abgefeuerten Raketen nur wenige davon ihr Ziel erreichten und „nur“ drei Tote zu beklagen waren.

Ein Waffenstillstand liegt im Interesse beider Parteien. Israel ist derzeit nicht an einem Sturz der Hamas interessiert, sondern vielmehr an einer starken Ordnungsmacht, die die noch radikaleren islamistischen Gruppen im Gaza-Streifen kontrolliert und als Ansprechpartner für künftige Waffenstillstandsverhandlungen taugt.

„Die Hamas zu stürzen ist etwas, worüber die nächste Regierung entscheiden muß“, zeigte sich Außenminister Lieberman am Freitag gegenüber Kanal 10 realistisch. Vor Beginn der Auseinandersetzung waren es häufig die noch radikaleren islamistischen Gruppen, die die Situation eskalieren ließen und die Hamas vor sich hertrieben.

Hamas liegt auf der anderen Seite viel daran, ihre Macht zu konsolidieren und in möglichen Vereinigungsverhandlungen der Fatah-Fraktion von Mahmud Abbas gestärkt gegenüberzutreten. Aus diesem Grund sah sich die Hamas vergangenen Freitag auch zu den Angriffen auf Tel Aviv und Jerusalem gezwungen, nachdem zuvor der „Islamische Dschihad“ die Verantwortung für einen Raketenangriff auf die Mittelmeermetropole übernahm. Dies setzte Hamas aus ihrem Selbstverständnis als Lordsiegelbewahrer des islamischen Widerstands heraus unter innerpalästinensischen Zugzwang.

Die letzten Tage des Konflikts bildeten somit für beide Parteien vor allem eine Bühne zur internen Profilierung. Während Hamas darauf setzte, den Konflikt zumindest im innerpalästinensischen Narrativ als Sieger zu verlassen, bereitet sich Israel auf die für Januar geplanten Wahlen vor. Eine Bodenoffensive mit ungewissem Ausgang und möglicherweise zahlreichen toten israelischen Soldaten hätte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, dessen nationales Lager derzeit in allen Umfragen führt, möglicherweise noch in Bedrängnis bringen können. So geht der Premierminister gestärkt in den Wahlkampf. Seinen Kontrahenten Shelly Yachimovich von der Arbeitspartei und der früheren Außenministerin Tzipi Livni blieb seit Beginn der Auseinandersetzung nichts anderes übrig, als die Anstrengungen der Regierung zu loben. 84 Prozent der Israelis befürworteten laut einer Umfrage der Zeitung Haaretz die Operation „Säule der Verteidigung“.

Auch an der internationalen PR-Front hat Israel die Auseinandersetzung bisher gut überstanden. Während eine Bodenoffensive wie die Operation Cast Lead (2008), die in Gaza weit über 1.000 Todesopfer forderte, heftige Kritik hervorrief, konnte sich der jüdische Staat diesmal der weitgehenden Zustimmung großer Teile der Internationalen Staatengemeinschaft sicher sein. Eine Bodenoffensive hätte auch die ägyptischen Vermittler vor den Kopf gestoßen.

Mit der Aushandlung eines Waffenstillstands versucht Ägypten sich als neue Ordnungsmacht in der Region zu etablieren. Beste Kontakte der Mursi-Regierung zur Hamas und die bestehenden Kanäle zu Israel aus der Zeit der Mubarak-Regierung ermöglichten die ägyptische Mittlerrolle. Israel hofft nun, Ägypten könne deeskalierend wirken und dauerhaft einen Waffenstillstand garantieren, was auch im ägyptischen Interesse nach regionaler Stabilität und Beruhigung seiner innenpolitischen Situation läge. Laut einem Bericht der Zeitung al Hayat soll Ägypten die Hamas vor dem Ausbruch der Kämpfe gewarnt haben, den seit Monaten andauernden Raketenbeschuß einzustellen. Wie sehr Israel auf Ägypten als Garantiemacht eines Waffenstillstands setzt, zeigt sich auch in der Zurückweisung einer französisch-katarischen Waffenstillstandsinitiative durch Premier Netanjahu.

Gleichzeitig bewegt sich auch Kairo auf schmalem Grad. Der Besuch von Premier Hischam Kandil in Gaza sollte ebenso wie die Abberufung des ägyptischen Botschafters in Tel Aviv vor allem der Beruhigung der heimischen Straße und radikalen salafistischen Gruppen dienen, die bereits ein Ende des Camp-David-Vertrags mit Israel fordern – eine Forderung, der die ägyptische Regierung nicht nur aufgrund diverser Beschneidungen ihrer Macht durch das Militär, sondern vor allem aufgrund der an den Friedensvertrag gebundenen amerikanischen Wirtschaftshilfe in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar pro Jahr nicht nachgeben kann. Auch sind die USA in der Lage, über ihre Sperrminorität im Internationalen Währungsfonds jederzeit ägyptische Kreditwünsche zu versagen.

Die Vermittlerrolle wiederum stellt für den Präsidenten der Moslembrüder einen enormen diplomatischen Erfolg dar. Dafür erhielt Mursi sogar ein Extralob: Präsident Obama bedankte sich persönlich in einem Telefonat.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen