© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/12 16. November 2012

Der Flaneur
Streit zwischen Liebenden
Josef Gottfried

Hast du sie noch alle?“ – „Wie?“ – „Ja, ob du sie noch alle hast?“ – „Was willst du denn jetzt von mir?!“ – „Ich habe dir schon tausendmal erklärt, daß es so rum nicht funktioniert!“ – „Und ich habe dir schon tausendmal gesagt, daß es meine Sache ist, wie rum ich das Teil benutze!“

Ich drehe mich vorsichtig um und versuche einen Blick zu erhaschen, aber ich sehe nur ihn, wie er sich von ihr abwendet und mit Blick aus dem Fenster auf ihre Vorwürfe eingeht. „So machst du es kaputt!“ – „Hier“, der Ausgeschimpfte zeigt es der Erbosten und sagt mit leichtem Triumph, „ist noch intakt.“ Sie tönt besserwisserisch: „Ist mir schon klar, daß es noch ‘intakt’ ist“, dabei äfft sie sein „intakt“ nach, so als ob „heile“ oder „in Ordnung“ anstatt des Fremdworts auch gereicht hätten. „Ich meine ja auch nur, daß du es so auf Dauer kaputtmachst.“

Jetzt steckt er es ein, schaut wieder zum Fenster hinaus und schüttelt leicht mit dem Kopf. Dann blickt er zu ihr und sagt etwas gelassener: „Ich habe keine Lust, mich bei jeder Kleinigkeit so von dir betüddeln zu lassen.“ – „Als ob ich das böse meinen würde ...“ – „Mir geht sonstwo vorbei, wie du das meinst, dieses Gequatsche macht mich wahnsinnig.“

Sie antwortet nicht mehr. Dann er wieder: „Das Teil ist eh überflüssig.“ – „Aber schön, wenn man’s hat.“ – „Stimmt auch wieder.“ Beide klingen jetzt etwas versöhnter. Sie: „Ich muß mal eben auf Toilette, paßt du solange auf meine Sachen auf?“ – „Klar.“

Sie steht auf und geht so an mir vorbei, daß ich sie ziemlich genau anschauen kann, ohne direkt aufzufallen. Kleidung, Statur, Alter und Frisur überraschen mich, eigentlich verblüfft mich die ganze Person. Bei dieser Stimme hätte ich nicht mit dieser Art von Frau gerechnet. Aber recht hatte sie trotzdem. Es wird wirklich andersherum benutzt. Weltkriegs: Das körperliche und das geistige Augenpaar

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