© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/12 16. November 2012

„Kanonenfutter wie wir“
Volkstrauertag: In Bayern erinnert ein Ehrenmal auch an einen toten Bundeswehrsoldaten
Hinrich Rohbohm

Wie zum Schutz thront der bayerische Löwe auf dem Untergriesbacher Kriegerdenkmal. Unter ihm stehen auf grauweißen Marmortafeln die Namen gefallener Soldaten. Männer, die auf den Schlachtfeldern des Ersten und Zweiten Weltkriegs ihr Leben ließen. Männer aus dem Ort, der 6.000 Einwohner zählenden Marktgemeinde Untergriesbach im Landkreis Passau, nahe der österreichischen Grenze.

Einer der Namen ist erst vor zwei Jahren hinzugekommen. Der von Josef Kronawitter. Er starb nicht im Ersten oder Zweiten Weltkrieg. Er fiel in
Afghanistan. Als sein nur leicht gepanzertes Bundeswehr-Aufklärungsfahrzeug vom Typ Eagle IV in eine Sprengfalle geraten war. Das war am 15. April 2010.

Heute erinnert eine an der Vorderseite des Kriegerdenkmals angebrachte Inschrift an den Stabsunteroffizier, der in diesem Jahr seine Dienstzeit beendet hätte, würde er noch leben. Ein Soldat, dessen Name sich nicht auf einem gesondert errichteten Ehrenmal befindet, sondern auf dem gleichen Denkmal steht wie die Gefallenen der beiden Weltkriege. Ein in Deutschland bisher noch ungewöhnlicher Vorgang. Einer, dessen darin enthaltene politische Botschaft von den Bürgern in Untergriesbach jedoch gewollt ist.

„Vielen ist doch gar nicht klar, daß Deutschland sich bereits seit Jahren im Krieg befindet. Die Politiker reden noch immer davon, daß wir Deutschen seit über 60 Jahren in Frieden leben. Die sagen uns doch die Unwahrheit“, empört sich ein Rentner aus Untergriesbach, der den Zweiten Weltkrieg noch „bewußt“ miterlebt hatte. Daß nun auch der Name eines Gefallenen aus Afghanistan auf dem Kriegerdenkmal steht, findet er wie die meisten im Ort „absolut richtig“. Weil gerade jungen Deutschen bewußt gemacht werden müsse, daß ihr Land in Afghanistan eben keine Friedensarbeit leiste, sondern kämpfen muß. „Wofür soll das gut sein? Das ist doch ein vollkommen sinnloser Krieg, der da geführt wird. Die jungen Leute sind doch genauso Kanonenfutter wie wir damals“, erregt sich der Rentner mit leicht zitternder Stimme.

Hermann Duschl muß ähnliches gedacht haben, als er dem Marktgemeinderat erstmals die Idee vorstellte, den Namen Josef Kronawitter mit einer Inschrift auf dem am Ortseingang befindlichen Kriegerdenkmal hinzuzufügen. Duschl ist Bürgermeister von Untergriesbach. Auf der Beerdigung des Gefallenen vor zwei Jahren war auch die Kanzlerin. Duschl hatte auf sie eingeredet, sie gebeten, den Krieg zu beenden. Vergeblich.

In Untergriesbach hingegen war man sich einig. „Als die Gemeinde uns den Vorschlag mit der Inschrift unterbreitete, waren wir sofort damit einverstanden“, erinnert sich Reinhold Skalitzky. „Natürlich wollten wir damit auch ein politisches Zeichen gegen diesen Krieg setzen“, sagt der Vorsitzende des örtlichen Soldaten- und Kriegervereins, der den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr ebenfalls für sinnlos hält.

Der Verein ist für die Pflege des Denkmals zuständig. Schändungen des Bauwerks habe es hier nie gegeben. Mit der neuen Inschrift werde der Sinn des Denkmals als Mahnung vor dem Krieg und dem Respekt gegenüber den gefallenen Soldaten wieder stärker ins Bewußtsein rücken, hofft Skalitzky, der wie viele im Ort kritisiert, daß die Soldaten über die tatsächliche Lage in Afghanistan zumeist im unklaren gelassen würden. Am Volkstrauertag vor einem Jahr sei noch einmal an den Tod Josef Kronawitters erinnert worden, an seinem Todestag war gar eine Abordnung seiner Einheit am Kriegerdenkmal erschienen. Am kommenden Sonntag wird der Direktor des örtlichen Gymnasiums die Rede zum Volkstrauertag am Kriegerdenkmal halten. Gut möglich, daß der Lehrer ebenfalls auf den Afghanistan-Gefallenen gesondert zu sprechen kommt.

„Den Soldaten wird für Auslandseinsätze viel Geld gezahlt. Das macht die Sache für einen jungen Menschen natürlich finanziell lukrativ“, sagt Skalitzky. Wenn ihnen dann aber erzählt werde, daß sie lediglich Brunnen bauen und die Infrastruktur im Land wiederherstellen sollen, sei das nicht in Ordnung. „Das ist ein Kriegseinsatz “, betont Skalitzky, der familiär selbst vom Afghanistan-Einsatz berührt ist. „Der Sohn meines Neffen muß auch dahin“, verrät er. Für vier Jahre habe er sich als Zeitsoldat für die Bundeswehr verpflichten lassen. Am 3. Januar soll es für ihn losgehen. „Das ist schon ein ganz mieses Gefühl, daß man da bekommt, wenn man weiß, daß jemand aus der eigenen Verwandtschaft dabei ist“, sagt Skalitzky und fährt sich nachdenklich mit der Hand über seinen grauen Schnurrbart. Er erzählt von Bundeswehroffizieren, die in Afghanistan dabei waren. Und die auf den Treffen des Soldaten- und Kriegervereins über ihre Eindrücke aus dem Krisengebiet berichtet haben. „Das sind dann schon dramatische Erlebnisse, die wir da zu hören bekommen“, erzählt Skalitzky.

Erlebnisse, die anders klingen als die offiziellen Verlautbarungen. Wie groß die Wut der Untergriesbacher ist, verdeutlicht die Inhaberin eines Blumengeschäfts aus dem Ortszentrum. „Nach dem Tod von Josef Kronawitter kamen Fernsehteams in unseren Ort und wollten unsere Bürger interviewen. Viele haben sich da einfach umgedreht und sind weggegangen“, schildert die Frau die damaligen Erlebnisse. „Weil sie Angst hatten, daß sie in ihrem Zorn unüberlegte Worte wählen würden. Die Floristin kann sich noch gut an die teilweise heftigen Äußerungen erinnern, die mancher Bürger aus Wut nur außerhalb der Reichweite von Journalistenmikrophonen von sich gab. Die Bundesregierung habe den Jungen wissentlich in den Tod geschickt, weil sie den Soldaten das Ausmaß des Krieges nicht ausreichend darlege. Sogar das Wort Mörder sei in Bezug auf die Bundesregierung gefallen. Die Geschäftsfrau kennt die Familie des Gefallenen. Die Mutter. Die Verlobte, die damals bereits ein Kind erwartete. Josef Kronawitter sei trotzdem nach Afghanistan gegangen. „Er wollte das so. Er wußte auch, daß der Einsatz Risiken birgt, aber daß es so gefährlich für ihn werden würde, war ihm sicherlich nicht bewußt“, ist sich die Floristin sicher.

Seine Mutter habe sich gegenüber der Öffentlichkeit mit Anschuldigungen zurückgehalten. „Aber innerlich war auch sie wütend auf die Verantwortlichen.“ Die Verlobte konnte ihren Unmut nicht vollkommen unterdrücken. Als ihr die Bundeskanzlerin auf der Beerdigung die Hand reichen und tröstende Worte spenden wollte, habe sie sich geweigert.

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