© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/12 16. November 2012

Wahlen und der demographische Wandel
Die Macht der Minderheiten
Herbert Ammon

Über Obamas Wahlsieg freuen sich fast alle meinungsbefragten Deutschen. Mit ihnen freut sich auch Kanzlerin Merkel und die CDU, abzüglich jenes Häufleins Konservativer, die in Romney und „rechten“ Republikanern Gesinnungsgenossen sehen wollen. Bei soviel Euphorie über den Triumph Obamas – bei der realen Stimmenverteilung lag er nur knapp zwei Prozent vor Romney – geht der Blick auf die amerikanische sowie die höchst eigene Realität verloren.

Alle Analysen verweisen auf die Aufspaltung der US-Wählergruppen: nur noch eine weiße Minderheit, dafür alle anderen Minderheiten mit großer Mehrheit für Obama; nahezu alle Afroamerikaner für den Ersten der Ihren, aber auch die Latinos, von denen 2004 noch viele den hispanisch verschwägerten George W. Bush wählten, sowie die Asiaten. Das Einwanderungsland USA mit seinen 310 Millionen Bewohnern befindet sich auf dem Weg zur demographischen und politischen Mehrheit der Minderheiten. Entsprechend scheinen die politischen Leitlinien vorgezeichnet: mehr Gerechtigkeit, Gleichheit, Glück für alle, namentlich für real oder vermeintlich benachteiligte Minderheiten – die „linke“ Version des „American Dream“. Eben dieses Credo beschwor Obama, in versöhnlicher Rede nach seinem Sieg in bitterer Wahlschlacht, als einigendes Band einer „Great Nation“.

Amerika lebt vom zivilreligiösen Glauben an das Gute aus seinem Geiste und an die stets bessere Zukunft. Immerhin: Viele der 2008 von Obamas Optimismus beeindruckten weißen Wechselwähler sind weggeblieben.Warum? Brechen nach dem Ende der „Tea Party“ die Gräben zwischen dem alten und dem neuen Amerika wieder auf? Trägt die optimistische Integrationsideologie „im Lande der Freien“ auf ewig? Oder tritt in Krisenzeiten eine andere, von den Minderheiten geprägte politische Kultur in Erscheinung?

Uns bewegt eine andere Frage: Läßt sich das von Obama gemalte Bild einer geeinten „Nation“ auf die „Bunte Republik Deutschland“ übertragen? Welche Rolle spielen in naher Zukunft in der grün getränkten Bundesrepublik die Minderheiten, gestützt auf das factum brutum der Demographie? Was kümmert sie über die politische Zwecknutzung hinaus die bittere deutsche Geschichte? Was verbindet sie mit der NS-fixierten Zivilreligion der postnazistischen Deutschen?

 

Herbert Ammon lebt als Historiker und Publizist in Berlin.

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