© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/12 09. November 2012

Der Verwalter der Stagnation
Vor dreißig Jahren starb der langjährige sowjetische Staats- und Parteichef Leonid Breschnew
Marion Kandil

Der 1907 im heutigen Dnjeprodserschinsk geborene Leonid Breschnew stieg mit Hilfe seines Förderers Nikita Chruschtschow nach Ende des Zweiten Weltkriegs rasch auf. Breschnew war seit 1952 Mitglied des Zentralkomitees (ZK) der KPdSU. Ende Juni 1957 wurde er Vollmitglied im Politbüro und blieb es bis zu seinem Tod vor dreißig Jahren am 10. November 1982.

Wie Chruschtschow verfolgte auch Breschnew auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs einen eher gemäßigten Kurs, sah sich aber nach dem für die Sowjets ungünstigen Ausgang der Kubakrise 1962 und parallel zum Abstieg seines Gönners immer mehr ins Abseits gedrängt. Dazu gehörte auch sein temporärer Wechsel in das Amt des Präsidenten des Obersten Sowjets (1960-64), der nominell auch Staatspräsident der UdSSR, aber faktisch ohne Macht war. Trotzdem konnte Breschnew seine Stellung im Politbüro wieder verbessern, und ab April 1963 war er zweitmächtigster Mann im Staat. Am 14. Oktober 1964 setzten Politbüro und ZK Chruschtschow ab, und mit Hilfe von Nikolai Podgorny, ab 1965 Staatspräsident, und Alexei Kossygin, dem neuen Ministerpräsidenten, stieg Breschnew zum Ersten Sekretär des Zentralkomitees der KPdSU (ab April 1966 Generalsekretär) auf. Anders als Chruschtschow galt Breschnew als berechenbar. Die solidere ökonomische Entwicklung suchte er mit der Intensivierung der Entspannungspolitik zu beschleunigen, um nicht zuletzt bessere Grundlagen für einen Austausch mit den Industrieländern des Westens zu schaffen.

Dazu paßte es nicht, daß Breschnew im August 1968 Truppen des Warschauer Pakts in die ČSSR einrücken und den Prager Frühling gewaltsam beenden ließ. Die Etablierung der „Breschnew-Doktrin“ mit der Begrenzung der Souveränität der osteuropäischen Satellitenstaaten war ihm jedoch wichtiger. Jenseits des Eisernen Vorhangs war deshalb eine Entspannungspolitik weniger riskant. Die wurde zur industriell erstarkten Bundesrepublik vorangetrieben, wo mit der sozial-liberalen Bundesregierung von Willy Brandt und Walter Scheel im Herbst 1969 gleiches in die Wege geleitet wurde. Erste Ansätze hierzu gab es bereits ab 1966, als in Bonn die Große Koalition ans Ruder gelangt war. Allerdings sollte die Initiative aus Moskau ausgehen. Als der damalige SED-Chef Walter Ulbricht eine Friedensinitiative startete und dazu Breschnews Zustimmung einholen wollte, lehnte dieser ab, da er eigenmächtiges Handeln der SED in der Deutschlandfrage strikt ablehnte. Nach den beiden Treffen zwischen Bundeskanzler Brandt und DDR-Ministerpräsident Stoph im Frühjahr 1970 kritisierte Breschnew im Juli 1970 gegenüber Honecker die Deutschlandpolitik Ulbrichts. Nun war die Deutschlandpolitik im Visier Honeckers, der mit Breschnews Rückendeckung agierte und Ulbricht über Sowjetbotschafter Abrassimow wieder auf Linie bringen ließ. Es dauerte nur noch bis Ende April 1971, und Honecker hatte Ulbricht abgelöst.

Nachdem Brandts Vertrauter Egon Bahr, damals Staatssekretär im Auswärtigen Amt, das „Bahr-Papier“ erstellt und von Januar bis Mai 1970 in Moskau mit Sowjetaußenminister Andrej Gromyko verhandelt hatte, brachte Bundesaußenminister Walter Scheel die Verhandlungen mit der Unterzeichung der Moskauer Vertäge vom 12. August 1970 zu Ende. In diesem war – wie in den nachfolgenden Ostverträgen der Bundesrepublik („Warschauer Vertrag“ mit Polen, 7. Dezember 1970; „Prager Vertrag“ mit der ČSSR, 11. Dezember 1973) – von Gewaltverzicht, von Unverletzlichkeit der Grenzen und Streitbeilegung mit friedlichen Mitteln die Rede. Das Vier-Mächte-Abkommen über Berlin (3. September 1971) bewirkte, daß der Moskauer und Warschauer Vertrag in Kraft treten und die Verträge der Bundesrepublik mit der DDR (wie der Grundlagenvertrag vom 21. Dezember 1972) und der ČSSR ausgehandelt werden konnten.

Außenpolitisch profitierte Breschnew von der temporären Schwächung der USA infolge von „Watergate“ und der Niederlage im Vietnamkrieg. Dadurch bekam die UdSSR von 1972 bis 1979 im Rüstungswettlauf eine Verschnaufpause, die Breschnew (ab 1977 auch wieder formelles sowjetisches Staatsoberhaupt) im Innern aber nur zu einer „Restalinisierung“ in Partei und Staat verwendete. Gorbatschow nannte die Breschnew-Ära später völlig zu Recht eine „Zeit der Stagnation“ mit wachsender innenpolitischer Unfreiheit. Dieser Stillstand änderte aber nichts an Breschnews Machtstellung, da seine Gefolgsleute ihre Posten behalten wollten und jede Veränderung fürchteten.

Es war Breschnew selbst, der im Dezember 1979 die kurze Phase der Entspannung durch den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan abrupt beendete. Eine Hauptfolge davon war das Scheitern des SALT II-Vertrags im US-Senat, aber auch der Boykott der Olympischen Sommerspiele in Moskau 1980 durch 66 Staaten. Während die USA ab 1981 unter der Präsidentschaft Ronald Reagans, der zum Kreuzzug gegen die Sowjetunion als das „Reich des Bösen“ aufrief, wieder erstarkten, erstarrte die UdSSR in Breschnews letzten Jahren immer mehr. Seine direkten Nachfolger Tschernenko und Andropow setzten diesen Kurs bis 1985 fort.

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