© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/12 09. November 2012

Schuldenfalle Drahtlosnetzwerk
Vorsicht, wenn die Kinder ins Netz gehen / Familien und kleine Unternehmen leiden unter Abmahnindustrie
Ronald Gläser

Der damals 13jährige Lennart Hecker hat sich nicht viel dabei gedacht, als er am 28. Januar 2007 um 20.42 Uhr ein Lied in einer Internettauschbörse hochlud. Hätte ihm jemand gesagt, daß auf seine Eltern der Gegenwert eines Kleinwagens an Schadenersatz- und Rechtsanwaltskosten zukommt, dann hätte er mit Sicherheit die Hände vom Rechner gelassen.

Vielleicht hat es ihm auch jemand gesagt, aber er hat sich gedacht: Mir wird schon nichts passieren. Und so geschah das, was schätzungsweise 600.000 deutschen Familien jedes Jahr in Deutschland widerfährt: Der Besuch einer virtuellen Tauschbörse wird zum finanziellen Desaster. Denn 2008 traf die Abmahnung der berühmt-berüchtigten Kanzlei Rasch bei den Heckers ein.

Firmen wie diese Hamburger Kanzlei sind auf Abmahnungen spezialisiert. Das Abmahnwesen ist eine deutsche Spezialität, bei der Bagatellverstöße von Bürgern durch andere Bürger kostenpflichtig geahndet werden. Jahrelang war das Abmahnen von Internetnutzern wegen des Besuchs von Tauschbörsen eine solide Einnahmequelle, die eine staatlich geförderte 500-Millionen-Euro-Industrie der „Abmahnanwälte“ hat florieren lassen.

Doch dieses Geschäftsmodell ist jetzt durch gleich zwei Entwicklungen bedroht: Zum einen steht ein Grundsatzurteil an, weil sich die Heckers gegen die hohen Kosten wehren, die ihnen auferlegt werden sollen. Zum anderen, weil der Bundestag die Macht der Anwälte zurückdrängen könnte.

Um diesen Streit zu verstehen, muß ein Blick in die Unterhaltungsindustrie geworfen werden. Vor allem Plattenfirmen verkaufen seit Jahren immer weniger CDs. Die Plattenmultis haben das kostenfreie Kopieren im Internet als Hauptursache für den Umsatzrückgang ausgemacht und Anwälte losgeschickt, um Surfer wegen Urheberrechtsverletzungen zu belangen. Auf der anderen Seite stehen die High-Tech-Industrie und Internetfirmen, die immer neue Wege zum kostenfreien Tausch von Bildern, Videos und Liedern erfinden. Gerade erst hat der Megaupload-Erfinder Kim Dotcom (alias Kim Schmitz) die Rückkehr seiner zeitweise gesperrten Seite für den Januar angekündigt. Und Samsung bewirbt ein neues Handymodell, mit dem Lieder kinderleicht von Gerät zu Gerät kopiert werden können – unter Umgehung des Urheberrechts versteht sich.

Wer sich in diesem technischen und rechtlichen Dschungel verläuft, bekommt es mit den Abmahnanwälten zu tun und muß zahlen. Oft trifft es Leute wie die Heckers. Abmahnbeträge um 1.000 Euro sind keine Seltenheit und stehen in keinem Verhältnis zum Schaden, der sich nicht beziffern läßt. Schwierig wird die Sache, wenn der Urheberrechtsverstoß aus einem Drahtlosnetzwerk (W-Lan) heraus vorgenommen wurde. Theoretisch kann sich jeder in das W-Lan eingewählt haben: Gäste, Nachbarn, sogar Passanten. Zum anderen ist es problematisch, wenn Kinder die Verstöße begangen haben sollen.

Bei den Heckers, einer fünfköpfigen Akademikerfamilie, kommt beides zusammen: Der minderjährige Sohn surfte im Drahtlosnetzwerk. Bei einer Hausdurchsuchung (!) wurde der Rechner des jüngsten Sohnes beschlagnahmt. Auf ihm wurden die Programme gefunden, mit denen er die Dateien hin und her kopiert haben könnte. Die Rechnung der Anwälte an die Heckers: 3.000 Euro Schadenersatz und 2.380 Euro Anwaltskosten. Vater Erich Hecker ist sauer: „Ich glaube, daß es Kanzleien in Deutschland gibt, die einen erheblichen Teil ihres Jahresumsatzes nur dadurch erlösen, daß sie versuchen, Menschen das Hemd auszuziehen.“ Er beschloß durch alle Instanzen zu gehen. Ein mutiger Schritt. Bislang hat er alle Prozesse verloren.

Es geht im Prozeß der Heckers, der am 15. November verhandelt wird, um die Aufsichtspflicht der Eltern, die den Rechner ihres Sohnes regelmäßig überprüft haben. Das müsse reichen, meint Christian Solmecke, der Anwalt der Heckers. Er zieht einen Vergleich zu einem strafunmündigen Kind, das mit seinem Fahrrad einen Unfall verursacht. Dessen Eltern seien nicht zur Verantwortung zu ziehen, Lennarts Eltern hingegen schon. Und es geht um noch mehr: Solmecke stellt das ganze Verfahren und die Legitimation der Abmahnanwälte in Frage.

Sollte er Erfolg haben, so hat das Auswirkungen auf gleichgelagerte Fälle. Auch auf politischer Ebene wird über die Frage der W-Lan-Haftung diskutiert: Dabei geht es zum Beispiel um kleine Café-Besitzer, die für ihre Kunden ein kostenfreies W-Lan eingerichtet haben. Aus Angst vor den Abmahnungen haben viele Gastronomen die Netzwerke wieder geschlossen. Die Kunden sind sauer. Hier entsteht politischer Druck. Alle Parteien im Bundestag wollen das geltende Recht überarbeiten. Am weitesten geht dabei ein Antrag der Linken, die W-Lan-Betreiber ganz aus der Verantwortung entlassen wollen.

Nun entscheidet erst einmal der Bundesgerichtshof. Er hat 2010 schon einmal in einem sibyllinischen Urteil einen W-Lan-Betreiber in einem ähnlichen Fall zwar zur Rechenschaft gezogen, aber die Strafe erheblich begrenzt. Es könnte sein, daß die Heckers letzten Endes mit einem blauen Auge davonkommen.

Opferanwalt. Die Rechtsanwaltskanzlei Wilde, Beuger und Solmecke vertritt Beklagte in Filesharing-Prozessen www.wbs-law.de

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