© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/12 09. November 2012

Schuld und Sühne
Geld als Sündenfall: Der jetzt in den Kinos anlaufende Film „Pieta“ von Regisseur Kim Ki-Duk erzählt die Geschichte einer Läuterung
Claus-M. Wolfschlag

Leichte Kost darf man bei einem Film des Südkoreaners Kim Ki-Duk nie erwarten. So präsentierte er beispielsweise 2002 in „Bad Guy“ die Geschichte einer durch Schulden in die Gewalt eines Zuhälters geratenden Frau. Und in dem 2003 erschienenen Meisterwerk „Frühling, Sommer, Herbst, Winter... und Frühling“ lenkte er den Fokus auf eine kleine buddhistische Einsiedelei, um sich dem Themenkomplex Schuld, Sühne und seelisches Gleichgewicht zu widmen.

Auch Kim Ki-Duks neuestes Werk „Pieta“ ist durchtränkt von stellenweise schwer ertragbarer Gewalt. Doch handelt es sich mitnichten um die Befriedigung eines sensationsheischenden Voyeurismus, wie er im westlichen Kino nicht selten ist. Weniger das spritzende Blut ist es, das uns schaudern läßt, als der im Menschen steckende Schrecken. Wie viele Handlungen und Dialoge ist auch die Gewalt in diesem ausgesprochen östlichen Film primär symbolisch dargestellt. Und so steht die Handlung auch für eine symbolische Form der Kapitalismuskritik.

Lee Kang-do (Lee Jeong–jin) ist ein brutaler Schläger, der für einen rücksichtslosen Geldverleiher Schulden eintreibt. Da die verarmten Schuldner die horrenden Wucherzinsen kaum bezahlen können, besorgt man sich die Einnahmen aus anderer Quelle. Sämtliche Schuldner mußten als Sicherheit Berufsunfähigkeitsversicherungen abschließen, deren Ausschüttungen den kriminellen Geldverleihern zugute kommen. So besteht Lee Kang-dos Job darin, die Zahlungssäumigen zu Krüppeln zu machen, ihnen die Gelenke kaputtzuschlagen, Arme zu zerquetschen, die Wirbelsäule zu brechen, um auf diese Weise das Versicherungsgeld einzustecken.

Eines Tages jedoch geschieht seltsames. Eine Frau steht vor der Wohnungstür und behauptet, Lee Kang-dos seit früher Kindheit verschollene Mutter zu sein. Nach einigen brutalen Prüfungen, mit denen sie ihre Mutterliebe beweisen soll, glaubt ihr der Schläger schließlich und erfährt erstmals im Leben Liebe und familiäre Geborgenheit. Die soziale Veränderung bewirkt, daß Lee Kang-do von seinem Job abläßt, Güte zu entwickeln beginnt. Doch dann verschwindet die fremde Frau wieder. Der frühere Schläger glaubt an einen Racheakt einstiger Opfer und geht auf die Suche. Haß schlägt ihm von allen Seiten entgegen.

Die Geschichte der Läuterung des Handlangers eines geldgierigen Immobilienhais verfilmte Jacques Audiard 2005 meisterhaft. Stand dessen Film „Der wilde Schlag meines Herzens“ in Bildwelt und Erzählstruktur für das klassisch-europäische Kino, so ist seinem nun in die Lichtspielhäuser kommenden Pendant „Pieta“ die asiatische Note unverkennbar eingebrannt. Überzogen, symbolisch, einem Theaterspiel gleich agieren die Darsteller teils, zugleich vollzieht sich ein drastischer Gewaltreigen, der Verstümmelung, Selbstverletzung, Vergewaltigung, Inzest und grausam gestalteten Selbstmord einschließt.

Der Film spielt in einem abgewirtschafteten Stadtteil der koreanischen Hauptstadt Seoul. Anachronistische kleine Werkstätten in Schuppen entlang enger Gassen prägen das Bild. Doch auch in diesem einstigen Standort klein- und mittelständischer Metallverarbeitung halten Modernisierung und Immobilienspekulation unaufhaltsam Einzug.

Ein alter Handwerker erklärt Lee Kang-do, daß er seit fünfzig Jahren arbeite, seit er 16 ist, aber nie auch nur einen Schritt in seinem Leben vorangekommen sei. Nun seien die modernen Hochhäuser des neuen Seoul schon bedrohlich nahe herangewachsen. Auch das alte Viertel werde bald dafür abgerissen. Kurz darauf stürzt sich der Alte resigniert vom Hausdach.

Der aus einfachen Verhältnissen stammende Regisseur war in jungen Jahren selbst in diesem Stadtteil als Hilfsarbeiter tätig. Hinzu kam die kindliche Gewalterfahrung: „Ich wurde sehr militärisch aufgezogen. Schläge gehörten zur Tagesordnung.“ Dieses persönliche Erleben von materieller Not und Mißhandlung konnte er in „Pieta“ eindringlich visualisieren.

Schon im Titel seines Streifens spielt er mit dem christlichen Motiv, mit Marias Trauer über den Tod des eigenen Sohnes. Doch nicht der Apfel, sondern das Geld ist für ihn der Sündenfall. „Die Menschen heutzutage sind besessen vom Irrglauben, daß Geld alle Probleme lösen könnte. Dabei ist in den meisten Fällen Geld das Problem“, äußerte der Regisseur. „Geld stellt die Menschen in einer kapitalistischen Gesellschaft unweigerlich auf die Bewährungsprobe. In diesem Film treffen zwei Menschen, die wegen Geld Leiden zugefügt beziehungsweise erfahren haben, unerwartet aufeinander und werden zur Familie. So eine Familienbeziehung macht uns bewußt, daß wir alle Komplizen und Sünder und mitverantwortlich sind für das, was in unserer Zeit geschieht.“

Kim Ki-Duk gelingt es, mit „Pieta“ diesen Gedanken sehr nachhaltig dem Betrachter nahezubringen. Daß dabei kein Wohlfühlkino herauskommt, dürfte klar sein.

Foto: Kang-do (Lee Jeong-jin) und Mi-sun (Cho Min-soo): Brutale Prüfungen sollen ihre Mutterliebe beweisen

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