© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/12 09. November 2012

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Nun gerät also Theodor Eschenburg in die Mühlen der Bewältigung, einflußreichster Politologe der ersten Nachkriegsjahrzehnte, Politiker der Stunde Eins, Wissenschaftsmanager, Musterliberaler, Westbinder. Man überprüft, ob der Preis, der seinen Namen trägt und von der Deutschen Gesellschaft für Politische Wissenschaft verliehen wird, noch so genannt werden darf, angesichts der Beteiligung Eschenburgs an einem Arisierungsverfahren und seiner Anpassungsbereitschaft in der NS-Zeit. Vorgehalten wird ihm auch der beschönigende Ton seiner Lebenserinnerungen. Hinzuzufügen ist noch, daß er seine Beteiligung wohl nicht einmal erwähnt hätte, wäre da nicht vorher der Band „Prominente ohne Maske“ des unberührbaren Gerhard Frey erschienen, der ihm die Mitgliedschaft in der schwarzen (Motor-)SS nachwies.

Linke sind Leute, hinter denen – wahrscheinlich seit Kindertagen – immer jemand herräumen muß.

Wie wird man eigentlich Europäische Kulturhauptstadt? Im kommenden Jahr darf Marseille diesen Titel führen: Ein Drittel der Einwohner jenseits der Armutsgrenze, dramatische Jugendarbeitslosigkeit, jede zehnte Familie mit nur einem Erwachsenen als verantwortlichem Erzieher, Verslumung, ganze Stadtteile in der Hand des organisierten Verbrechens, was selbst die amtierende Regierung Frankreichs auf die Folgen ungeregelter Einwanderung zurückführt, und dann die Forderung nach hartem Durchgreifen, die wohl daran scheitert, daß dreißig Mitglieder der Polizeieliteeinheit, die dafür vorgesehen war, wegen Korruptionsverdacht und mafioser Verstrickung inhaftiert werden mußten.

„Die Welt hat sich verändert. Ich sehe es im Wasser, ich spüre es am Boden, ich empfinde es in der Luft. Viel, von dem, was einst existierte, ist verloren, weil keiner von denen, die heute leben, sich seiner erinnert.“ (J. R. R. Tolkien)

Angesichts des Skandals um die versuchte Einflußnahme des CSU-Pressesprechers auf die ZDF-Berichterstattung gab es einen kleinen Versuch, gegenzusteuern. Und zwar, indem auf die – sehr viel massiveren – Manipulations- und Zensurmaßnahmen der nordrhein-westfälischen SPD unter Ministerpräsident Rau hingewiesen wurde, diesen Inbegriff landesväterlicher Sorge und überlegener Moral. Aber selbstverständlich bleibt derlei ohne Konsequenzen, schon weil die linke Mehrheit der Journalisten an der Berichterstattung oder investigativen Klärung gar kein Interesse hat, aber auch wegen des Medieneinflusses und -besitzes der Sozialdemokratie und der Neigung der Bürgerlichen, linke Machtpraxis samt Mißbrauch mit einer gewissen Ungläubigkeit zu quittieren.

Frage: „Schauen Sie sich den neuen Rommel-Film an?“ Antwort: „Nein.“ Frage: „Aber warum denn nicht, Sie interessieren sich doch so fürs Geschichtliche.“ Antwort: „Ich mag unsere Niederlagen nicht mehr sehen.“

Auch ein Nachruf: Am 25. Oktober verstarb im Alter von zweiundachtzig Jahren der Göttinger Alttestamentler Lothar Perlitt. Mit ihm ging einer der letzten Vertreter jener viel geschmähten deutschen Ordinarienuniversität, die heute wie ein kaum vorstellbares Goldenes Zeitalter der Gelehrsamkeit erscheint. Wer das Vergnügen hatte, Perlitt als Professor zu erleben (und nicht seinem gelegentlich beißenden Spott zum Opfer fiel), wird für sein Verständnis biblischer Exegese Entscheidendes mitgenommen haben, und wer das noch größere Vergnügen hatte, ihn predigen zu hören, wird sich niemals mit dem seichten Gerede von unseren Kanzeln zufriedengeben. Nur zweierlei ist zu bedauern: Daß Lothar Perlitt so skrupulös war, wenn es um die Niederschrift seiner Erkenntnisse ging, und daß er nicht politischer geworden ist. Zwar gibt es noch heute legendäre Berichte über den einzelgängerischen Mut, mit dem er dem linken Mob entgegentrat, der in den siebziger und achtziger Jahren die theologische Fakultät beherrschte, aber sonst blieb es bei Anspielungen. Die waren aber manchmal deutlich genug, wenn er etwa in Auslegung von Salomons Gebet um ein „hörend Herz“ anmerkte, im Grunde sei die einzig adäquate Staatsform für den Monotheismus die Monarchie. Aber das alles waren nur Dinge am Rande, und da die Zurückhaltung nicht mit Feigheit zu erklären ist, muß man sie wohl zurückführen auf ein traditionelles Amtsverständnis und Perlitts Entschlossenheit, seine Kräfte auf das Zeitlose zu richten. Am deutlichsten war das an seiner hingebungsvollen Tätigkeit als Abt von Kloster Bursfelde. Zwanzig Jahre lang hat er sich bemüht, dieses merkwürdige Amt – ein evangelischer Abt für ein Kloster ohne Mönche – in „benediktinischer“ Tradition zu erfüllen. Die Benediktiner verdanken ihrem Gründer das berühmte ora et labora – „Bete und arbeite“, das helfen soll, den Ausgleich zwischen Kontemplation und Tat zu halten.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 23. November in der JF-Ausgabe 48/12.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen