© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/12 09. November 2012

Verheerende Bilanzen
Kosovo: Trotz Milliardenhilfe kann die EU-Rechtsstaatsmission Eulex kaum Erfolge verzeichnen
Martin Böcker

Die Europäisierung des Kosovo läuft nicht nach Plan. Die seit 2008 laufende Kombination aus militärischer Befriedung des Landes durch „Kosovo Forces“ (Kfor) und der Etablierung eines Rechtsstaates mit der zivilen Mission Eulex brachte bislang nicht den erhofften Erfolg. Nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im Jahr 2008 schienen die Wogen sich zunächst geglättet zu haben, auch wenn Serbien das Kosovo immer noch als eigenes Staatsgebiet betrachtet.

Ein Ende Oktober vorgestellter Bericht des Europäischen Rechnungshofes zog jedoch die verheerende Bilanz, daß Eulex trotz immenser Investitionen von knapp 3,5 Milliarden Euro in den Jahren 2005 bis 2007 und 1,2 Milliarden Euro seit 2008 weder Korruption noch organisierte Kriminalität nennenswert eindämmen konnte. Vor allem im Norden hat die Eulex-Mission, an der auch 98 deutsche Polizisten beteiligt sind, jeden Einfluß verloren. Die Einführung von politischer Transparenz und Rechtsstaatlichkeit stehen nur auf dem Papier.

Die dort lebenden Serben akzeptieren die kosovarische Regierung nicht und fühlen sich gleichzeitig von der serbischen Regierung im Stich gelassen. Sie beharren darauf, daß das mehrheitlich albanische Kosovo Teil Serbiens bleiben muß. Bei Unruhen im Sommer dieses Jahres wurden zwei deutsche Soldaten verwundet und die Kfor-Reserve, die von Deutschland, Österreich und Italien gestellt wird, mußte mehrfach ausrücken.

Aus EU- und Nato-Sicht waren Kfor und Eulex Hoffnungsträger für eine erfolgreiche Einflußnahme, und das in zweifacher Hinsicht: nicht nur als gelungener Präzedenzfall europäischer Sicherheitspolitik, sondern vor allem als Machtgewinn gegenüber Rußland. Somit bleibt der Kosovo ein Spielball geopolitischer Interessen. Zusätzlich ringt die Türkei um ihren Einfluß auf dem Balkan.

Moskau hat in Serbien Boden gut gemacht. So hat das russische Staatsunternehmen Gazprom Ende Oktober gemeldet, daß es gemeinsam mit dem serbischen Unternehmen Srbijagas die endgültigen Projektverträge für die Pipeline South Stream zum Abschluß gebracht hat. South Stream ist für Rußland aus zwei Gründen wichtig: Nach dem russisch-ukrainischen Streit über den Erdgas-Transit in die EU bietet sie eine relativ sichere Alternativroute. Zudem ist es ein Konkurrenzprojekt zur europäisch dominierten Nabucco-Pipeline, welche die EU mit kaspischen Erdgasvorkommen verbindet und an Rußland vorbei geht. Rußland bringt Geld und Arbeitsplätze in das Land, ist dabei allerdings umgeben von Nato-Stützpunkten. Darunter der im Kosovo gelegene US-Posten Camp Bondsteel, mit dem die Nato sich verhältnismäßig kurze Wege in den Nahen Osten und den Zugriff auf den Balkan sichert.

Die Türkei versucht ihren Einfluß auf das Kosovo vor allem über die Wirtschaft zu erlangen, so hat zum Beispiel das türkische Energiekonsortium Calik Holding & Limak den privatisierten kosovarischen Stromnetzbetreiber KEDS übernommen, obwohl dieses Unterfangen aufgrund der schlechten Zahlungsmoral und des illegal abgezapften Stroms ein riskantes Unterfangen ist. Zudem engagiert sich eine „Türkische Einrichtung für Bildung“ in Prizren, wo rund sechs Prozent der knapp 180.000 Einwohner ethnische Türken sind. Sie möchte laut einer Meldung des türkischen Senders TRT bei der Bildung von türkisch lernenden Kindern „einen Beitrag“ leisten. Das Engagement dieser Art könnte aufgehen: Je unwahrscheinlicher der EU-Beitritt der islamisch dominierten Balkanstaaten wird, desto lohnender könnte eine Orientierung in Richtung Ankara sein.

Der Balkankonflikt schwelt seit 1991, im Kosovo erlebte er von 1998 bis 1999 mit dem Kosovokrieg seinen Höhepunkt. Den letzten großen Ausbruch gab es bei den „März-Unruhen“ 2004, bei denen 19 Menschen getötet sowie mehr als 1.000 verletzt wurden. Im Gegensatz zu EU-Ländern wie Spanien oder die Slowakei, die selbst nennenswerte Minderheiten in ihrem Land haben, hat Deutschland die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt.

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