© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/12 09. November 2012

„Schalalalalaaaa ...!“
Fußball und Fankultur: Die schönste Nebensache der Welt ist auch ein Tummelplatz für fragwürdige Ideologen geworden
Hinrich Rohbohm

Jetzt regen sie sich alle wieder groß auf.“ Der Mann mit den schulterlangen, bereits ergrauten Haaren und dem fülligen Körper sitzt in der „Tankstelle“, einer typischen HSV-Kneipe in der Gerhardstraße, mitten im Rotlichtviertel der Reeperbahn. Mannschaftsfotos hängen an den Wänden, einige in Schwarzweiß, einige in Farbe. Sie stammen zumeist aus vergangenen, ruhmreicheren Tagen des Clubs.

„Ich bin Horst, wie Horst Hrubesch“, scherzt der 51jährige. Er sei nur unregelmäßiger Besucher der „Tanke“, wie er die Kultkneipe der HSV-Fans nennt.

Horst ist seit mehr als 35 Jahren „Überzeugungstäter“, wie er es ausdrückt. Will heißen: Seit 1977 ist er regelmäßiger Stadiongänger. Seit ihm sein Vater an seinem 16. Geburtstag ein Ticket spendiert hatte. Nordtribüne. „Alte Opas“ hätten da stumm herumgesessen und gelegentlich vor sich hingeklatscht. Sein Blick schweifte damals dahin, wo es laut war. In die Westkurve, Block E. Fangesänge, Konfettiregen, rhythmisches Klatschen. „Genau mein Ding“, erinnert er sich. Horst kaufte sich von da an selbst das Schüler-Ticket, wurde zum eingefleischten Westkurven-Besucher.

„Fangewalt hat es im Fußball immer wieder gegeben und wird es auch immer wieder geben“, sagt er nüchtern. Anfang der achtziger Jahre sei auch schon „gut zugelangt“ worden. „Es gab Zeiten, da hast du für’n dummen Spruch schnell mal eine gelatscht bekommen“, erinnert sich Horst.

Dabei sei es jedoch immer um den Fußball und Konkurrenzclubs gegangen. Seit 20 Jahren sei zu beobachten, daß die Großereignisse um das runde Leder immer stärker genutzt werden, um politische Botschaften zu vermitteln. „In den Neunzigern fing es damit an, daß rechtsradikale Parolen im Stadion zu hören waren. „Das war mir schon übel aufgestoßen“, erinnert sich Horst, der mit dem Aufkommen der Ultra-Bewegung inzwischen einen genau entgegengesetzten Trend sieht.

„Da werden nun auf ähnlich fanatische Weise Schlagworte wie Antifaschismus, Antirassismus, Anti-Sexismus und Anti-Kommerzialisierung ins Spiel gebracht und Haß gegen Fußballer, Vereinsfunktionäre und Polizisten geschürt.“ Für Horst ist das mit eine Ursache dafür, daß es vor, während und nach Spielen zu Gewaltausbrüchen kommt, wie jüngst in Dortmund, als vermummte Fans auf Polizeibeamte eingeschlagen hatten.

Zwar gelten die Ultras als besonders fanatische Anhänger. Keinesfalls jedoch nur im negativen Sinne. Sie studieren Fangesänge und Choreographien ein, begleiten ihren Verein bei Auswärtsspielen, kommunizieren mit Spielern und Clubverantwortlichen, sorgen für Stimmung im Stadion. „Das alles ist in Ordnung“, meint der Düsseldorfer Thomas N. Die zunehmende Politisierung des Fußballs durch Fanprojekte, die stark auf die Ultra-Szene einwirken, gehe ihm jedoch auf die Nerven. Früher war der 36jährige Fortuna-Fan und regelmäßiger Stadionbesucher.

„Fußball war für mich immer die schönste Nebensache der Welt. Wenn dann aber Leute kommen und versuchen, die Fans für politische Zwecke zu vereinnahmen, ist es bei mir mit dem Spaß einfach vorbei.“

Aufgrund ihrer hohen Mitgliederzahlen haben Ultras einen nicht unerheblichen Einfluß auf ihren Verein. Was sie auch attraktiv für politische Extremisten von rechts und links macht. „Fußball ist ein großer Multiplikator, politische Botschaften können durch ihn weit gestreut werden“, sagt N.

In Italien hatte die politische Radikalisierung von Fans zu einer starken Eskalation der Gewalt geführt. Als vor fünf Jahren ein Polizist und ein Fan von Lazio Rom bei Ausschreitungen ihr Leben verloren, wurden die Sicherheitsvorkehrungen drastisch erhöht. Pyrotechnik und Megaphone wurden verboten, für Spruchbanner im Stadion bedarf es einer Autorisierung. Vorgänge, die nun auch in Deutschland aktuell geworden sind. Gegen bestimme Ultra-Gruppen wurden in Italien längst Stadionverbote ausgesprochen. Etwa gegen die kommunistisch ausgerichtete Brigate Autonome Livornesi, eine Ultra-Gruppe des AS Livorno. Ebenso existieren faschistische Ultra-Bewegungen, wie etwa die Irriducibili Lazio, die sich wiederum Kämpfe mit den linken Ultras liefern.

Politische Extreme, denen das Stadion als Bühne gilt. Und die nun auch in Deutschland Fuß zu fassen drohen. Etwa bei den Ultras von Dynamo Dresden, denen eine rechtsradikale Gesinnung nachgesagt wird. Erst vor kurzem war es beim DFB-Pokalspiel Hannover 96 gegen Dynamo Dresden zu Ausschreitungen mit der Polizei gekommen. Ein Jahr zuvor waren die Dresdner an Krawallen in Dortmund beteiligt. „Immer sollen wir zum Sündenbock gemacht werden“, schimpft ein Dresdner Ultra-Fan unmittelbar vor dem Pokalspiel gegen Hannover. Was er da noch nicht weiß: Wenige Stunden später sollte es von Dresdner Fans erneut zu Attacken gegen Polizisten kommen. Ein Großaufgebot von 1.000 Einsatzkräften war nötig, um die Gewaltausbrüche der Dresdner Fans unter Kontrolle zu bekommen. Und beim Relegationsspiel zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC Berlin war es im Frühjahr mehrfach zur Spielunterbrechung gekommen, weil Fans den Platz gestürmt hatten.

Fragwürdig sind jedoch auch die Fanprojekte der einzelnen Vereine. Mit Steuergeldern finanziert und mit hauptamtlichen Sozialarbeitern ausgestattet, sollen sie deeskalierend auf die Fans einwirken. Wie aber verhält es sich, wenn jene, die helfen sollen, Gewalt zu vermeiden, selbst mit einem radikalen Umfeld verbandelt sind?

Ein Pionier der sogenannten Fanprojekte ist Dieter Bott. Der Soziologe und Adorno-Schüler gründete bereits Mitte der achtziger Jahre Faninitiativen in Duisburg, Düsseldorf und Frankfurt. Als Bildungsreferent hatte er für die hessische Naturfreundejugend gearbeitet. Die Organisation mit dem unverfänglich klingenden Namen strebt „die Überwindung des Kapitalismus“ an, bekennt sich zum Sozialismus. Bereits 1968 hatte er in Frankfurt ein Antiolympisches Komitee gegründet, das die „Jugend der Welt“ aufforderte, „die heuchlerischen Spiele in die Luft zu jagen“.

Inzwischen gibt es über 40 dieser von Bott ins Leben gerufenen Fanprojekte. Die hierfür eingesetzten Sozialarbeiter werden unter anderem von Dieter Bott selbst ausgebildet, der sich mittlerweile als „Fanforscher“ einen Namen gemacht hat und dessen Wort heute als Expertenmeinung gilt.

Ebenfalls den Ruf eines Fan-Experten erwarb sich Gerd Dembowski. Der 40 Jahre alte Sozialwissenschaftler war durch Bott zur Fußballforschung gelangt, arbeitet seit September dieses Jahres in der am Institut für Sportwissenschaften der Universität Hannover angesiedelten „Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit“ (KoFaS).

Neben Kolumnen für die taz schrieb er auch bereits als Autor für das DKP-Organ Unsere Zeit, das St. Pauli-Fanmagazin Der Übersteiger sowie die linksradikale Junge Welt in Erscheinung. 1996 wurde er Bundessprecher des Bündnisses Aktiver Fußballfans (BAFF), für das er drei Jahre später die Wanderausstellung „Tatort Stadion. Rassismus und Diskriminierung im Fußball“ initiierte. Die Ausstellung wurde inzwischen an zahlreichen deutschen Schulen gezeigt. 2002 veröffentlichte der linksradikale Papyrossa-Verlag das Buch „Tatort Stadion – Rassismus, Antisemitismus und Sexismus im Fußball“. Neben Dembowski zählt dabei auch Gunter Pilz zu den Autoren des Buches. Der 67 Jahre alte Diplom-Soziologe und Honorarprofessor ist seit Mai dieses Jahres als Leiter der KoFaS tätig. Pilz hatte bereits mehrere Gutachten für das Bundesinnenministerium und den DFB erstellt, auch zu den Ultras. Zudem ist er in der Expertenkommission „Ethics and Fairplay“ der Uefa vertreten.

„Davon haben wir null Prozent gewußt, empört sich ein junger Fan. Gemeinsam mit seinen beiden Freunden steht er auf eine Zigarettenlänge vor dem Haus der Jugend, dem wöchentlichen Treffpunkt einiger Ultras. Auch sie gehören der Ultra-Szene an. Ja, daß neben dem Fußball auch Seminare gegen Rechts abgehalten werden, wissen sie. Auch, daß so mancher in der Szene mehr oder weniger links sei. „Aber daß es so weit geht, hätte ich nie gedacht.“ „Glauben Sie jetzt bitte nicht, daß wir alle radikal sind“, ergänzt ein weiterer Ultra-Fan. Sein Freund reagiert sogar sauer. „Wenn das stimmt, dann fühle ich mich schon hereingelegt“, sagt er.

Horst kann derlei Reaktionen gut nachvollziehen. „Man sollte die Ultras nicht dämonisieren. Aber die Masse an Fans und ihr Einfluß verleiten Radikale wohl dazu, die Bewegung politisch für sich auszunutzen.“ Und: Da gehe es natürlich um Macht und Aufmerksamkeit. „Auf einmal ist von Antifaschismus, Rassismus, Sexismus und Kommerzialisierung die Rede. Das geht dann manchmal sogar so weit, daß selbst harmlose Sprüche als frauenfeindlich abgestempelt werden.“

In Hamburg hätten beispielsweise die Leute von „Chosen Few“ eine starke Stellung, erzählt Horst. Was ihn nervt: „Die Anführer solcher Fangruppen wollen alles bestimmen. Welche Lieder gesungen werden dürfen, wer welche Fankutten tragen darf, welche Symbole okay sind und welche nicht. Sogar, was die Vereinsführung zu tun oder zu lassen hat, wollen sie festlegen.“

Bei letzterem Thema sei oft von Mitbestimmung die Rede. „Aber damit meinen die Wortführer solcher Gruppen vor allem sich selbst, solche Fans sind eitel und genießen die öffentliche Aufmerksamkeit.“ Da gebe es Leute, die am liebsten den Verein gleich selbst leiten wollen. Und die sich zum Ziel gesetzt haben, den Stadionbetrieb ohne Kommerz und auch gleich noch ohne Polizei laufen zu lassen. Die Pyrotechnik-Diskussion sei für ihn dagegen „das geringste Problem“.

Doch durch das Aufzwingen von Aktionen gehe die Fanvielfalt verloren. „Wer nicht nach deren Pfeife tanzt, wird ausgegrenzt“, meint Horst, der besonders das Hineinregieren von Fangruppen in die Vereinspolitik für problematisch hält. „Wir sehen doch, zu welch chaotischen Verhältnissen das in den Führungsgremien des HSV geführt hat. Tausende Fans können nun mal nicht Sportdirektor sein.“

 

Streit um Sicherheit

Es geht um „Bengalos“, Ganzkörperkontrollen und „Geisterspiele“: Die Deutsche Fußball Liga (DFL), als Organisation zuständig für die Vermarktung des Profifußballs sowie die Lizenzierung der Vereine in der 1. und 2. Bundesliga, hat mit ihrem „Positionspapier Sicheres Stadionerlebnis“ mediales Aufsehen erregt und Fußballbegeisterte zum Widerspruch gereizt. Ziel der DFL-Offiziellen ist es, die Spiele in den Stadien zu einem objektiv wie subjektiv sicheren und familientauglichen Ereignis zu machen. Dafür sieht das neue Sicherheitskonzept schärfere Sanktionen (Spiele ohne Publikum, Einfrieren von Fernsehgeldern oder Vertragsstrafen) bei Fehlverhalten der Fans vor, so wenn Pyrotechnik im Stadion gezündet werde.

Bei (organisierten) Fans stößt das Vorhaben der DFL nahezu vollständig auf Ablehnung. Unter den Vereinen ist das Echo nicht ganz so einhellig, allerdings auch überwiegend skeptisch negativ, etwa beim VfL Wolfsburg, dem VfB Stuttgart oder auch den Zweitligisten Hertha BSC und FC Köln. Zustimmend äußerten sich dagegen Vertreter des Deutschen Meisters Borussia Dortmund, des aktuellen Tabellenführers FC Bayern sowie von Borussia Mönchengladbach. Die „Arbeitsgemeinschaft Fananwälte“ äußerte, die geplanten Maßnahmen stünden „mit der bestehenden Rechtslage nicht im Einklang“. Da es keine Kollektivschuld gebe, könne man auch nicht Kollektivstrafen verhängen. Genau darauf laufe ein „Geisterspiel“ vor leeren Rängen hinaus.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft hat unterdessen nach den jüngsten Ausschreitungen (etwa in Dortmund oder Hannover) ihre Forderung wiederholt, daß für den Einsatz der Beamten „eine Sicherheitsgebühr des DFB und der DFL in Höhe von mindestens 50 Millionen Euro“ erhoben werden soll. Am vergangenen Donnerstag trafen sich auf Einladung des 1. FC Union Berlin rund 250 Fans von 49 Fußballvereinen zum – teilweise hitzigen – Meinungsaustausch mit Vertretern der DFL. Der Ligaverband versprach, dem „Gesprächsbedarf Rechnung zu tragen“.

www.bundesliga.de

www.fc-union-berlin.de

www.dpolg-nrw.de

 

Ultras

Als Ultras werden besonders leidenschaftliche Fußballanhänger bezeichnet. Entstanden ist die Bewegung in den fünfziger und sechziger Jahren in Italien. Ultras unterscheiden sich von anderen Fanclubs durch eine noch radikalere Unterstützung ihrer Mannschaft und eine ablehnende Haltung gegenüber Kommerzialisierungen im Fußball. Neben einer teilweisen Politisierung der Anhängerschaft schließt ihre Hingabe an den Verein auch die Anwendung von Gewalt nicht immer vollständig aus.

Foto: Ultra-Transparent, Anhänger des Zweitligisten Dynamo Dresden am 26. September 2012 beim Spiel gegen Hertha BSC im Berliner Olympiastadion: „Tausende Fans können nun mal nicht Sportdirektor werden“

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