© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/12 02. November 2012

Der Flaneur
Das Kind kehrt zurück
Josef Gottfried

Der Kinderwagen wird von mir durch das Laub auf dem Dresdner Bürgersteig geschoben, und ich gehe noch ein wenig langsamer, um auf das Geräusch meiner schlurfenden Füße zu hören, wie ich sie so durch das Laub schiebe. Ich höre das Rascheln und rieche diesen erdigen Geruch sich langsam zersetzender Blätter, der ja so angenehm ist, weil er mich an meine wilden Sprünge in zusammengekehrte Laubhaufen erinnert, als ich selber noch ein Kind war. Und da war auch dieser Weg durch den Cappenberger Wald, unweit von Dortmund, mit herbstlichen Farben, die ich damals nicht wahrnahm und die mir heute um so herrlicher erscheinen. Zum Friedhof, mein Vater und ich wollten Opa besuchen, „Oppa“, kurzes O, so sagt man das bei uns drüben.

Rex, Papas Hund, springt übermutig über das Friedhofstor. Als mein Vater es öffnet, schiebe ich mich durch und renne vorbei am Wasserhahn und den in Reihe aufgehängten Gießkannen. Am Grab sind wir kurz still (ich kann mich nicht genau erinnern, aber ich bin sicher, daß ich damals gar keine Trauer empfunden habe – wir waren ja nur „Oppa“ besuchen, erst jetzt frage ich mich, wie es meinem Vater wohl ging, dort lag ja schließlich sein Vater). Er öffnet das Gehäuse für das Grablicht, entnimmt das erloschene, zündet das neue an, das wir von Oma haben, stellt es herein und schließt das kleine Türchen. Der Hund schnüffelt und wedelt, wir gehen weiter, den Rückweg am See und der Grundschule vorbei.

Plötzlich schreit das Kind, und ich bin zurück in Dresden, weit weg von dort, warum auch immer. Schon am Laub vorbeigekommen, rechts von mir ist ein Maschendrahtzaun, dahinter Gebrauchtwagen, schöne Gebrauchtwagen. Ich greife dem Kind in den Nacken, an Unterarme und Waden, weder schwitzt noch friert es, als ich etwas zügiger weiterschiebe, beruhigen wir uns wieder.

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