© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/12 02. November 2012

Deutsche Wirtschaft im Bann Seltener Erden
Abhängigkeiten und Chancen eines rohstoffarmen Exportweltmeisters / Goldgrube Lateinamerika?
Christoph Keller

Noch in den neunziger Jahren waren angesehene Wirtschaftsexperten fest der naiven Überzeugung, die deutsche Industrie werde sich auch künftig auf dem Weltmarkt stets günstig mit Rohstoffen versorgen können. Die deutsche Industriegesellschaft sei zudem ohnehin auf dem Wege zur reinen Dienstleistungsgesellschaft. Für den äußersten Fall, so erinnert der heute in kolumbianischen Diensten stehende Geologe Thomas Cramer (TU International, 69/12), vertraute man darauf, durch effizientere Nutzung die Vorräte strecken zu können, so daß man lagerstättenkundliche Institute für verzichtbar hielt und sie reihenweise schloß. Auch die politische Klasse hatte die langfristige Rohstoffsicherung nie als Problem erkannt.

Vor zehn Jahren belehrte sie dann der von ungeheurem Rohstoffverbrauch befeuerte wirtschaftliche Aufstieg Chinas eines Besseren. Der Nachfrageeinbruch nach der Lehman-Pleite währte dank der Zentralbank- und Konjukturprogramme nur kurz. Welche sagenhafte Aufholjagd hinter dem Reich der Mitte liegt, belegt sein heutiger Anteil am Weltstahlverbrauch von 50 Prozent, während es 1980 nicht einmal sechs Prozent waren.

Zugleich verweist China, mit Ausnahme von Öl und Gas, als größter Rohstoffverbraucher die USA und Europa auf die Plätze. Erst der „China-Schock“, so führt im selben, der Rohstoffthematik gewidmeten Heft des Hausorgans der Berliner TU Friedrich-Wilhelm Wellmer, der einstige Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, aus, habe im Westen ein breites Bewußtsein für die Bedeutung von Rohstoffen entstehen lassen. Jeder Verbraucher spürt die Vervierfachung des Benzin- und Heizölpreises seit 2002, aber jeder Zeitungsleser weiß inzwischen auch, daß sich die Preise für Blei, Nickel, Zink oder Kupfer seither um 500 bis 800 Prozent erhöhten.

Welche prekäre Lage Chinas ungestillter Rohstoffhunger und explodierende Preise für Mineralien dem „High-Tech-Standort“ Deutschland bescherten, veranschaulicht Wellmer mit wenigen Zahlen aus der Metallbranche. Sie beschäftigte 2009 rund 3,4 Millionen Menschen in 23.500 überwiegend mittelständischen Betrieben. Mit ihrem Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) überflügeln sie die Konkurrenz in Frankreich oder Großbritannien bei weitem. Entsprechend kritischer ist die Rohstoffabhängigkeit dieser Branche bei ihren technologischen Spitzenprodukten.

Wellmers Blick auf deutsche Rohstoffeinfuhren 2010 unterstreicht die Fragilität einer Volkswirtschaft, für die primär der Export Wohlstand und sozialen Frieden garantiert. Zwar beträgt die Rohstoffrechnung von 100 Milliarden Euro nur 4,4 Prozent von 2.500 Milliarden Euro BIP. Und von diesen 4,4 Prozent entfallen überdies zwei Drittel auf Energieträger, nur ein Drittel auf Metallrohstoffe. Darunter wiederum dominieren Eisen, Stahl und Nichteisenmetalle. Es verbleiben scheinbar kümmerliche zehn Prozent, die Stahlveredler oder „High Tech-Rohstoffe“ wie die Spezialmetalle der „Seltenen Erden“ (JF 7/12) und Platingruppenelemente ausmachen. Aber dies seien „die entscheidenden Rohstoffe, die uns ermöglichen, Spitzenprodukte herzustellen“.

Diese Mineralien, deren Wert sich auf weniger als 0,5 Prozent des deutschen BIP beläuft, sind die „wirtschaftsstrategisch“ wichtigsten Werkzeuge, deren „Hebelwirkung“ Deutschlands Ökonomie einerseits relativ schnell aus den Tiefen der Weltwirtschafts- und Finanzkrise von 2008 herausgezogen habe, die andererseits jedoch auch deren enorme Verwundbarkeit begründeten.

Gerade die Exportsäule Autoindustrie käme beim Ausfall der vom Monopolisten China gelieferten Seltenen Erden sofort ins Schleudern. Denn die früheren „Blechkisten auf Rädern“ seien heute rollende Computer, die oft mehr als 150 Mikroprozessoren mit über 6.000 Halbleiterelementen enthalten. Für einen Hochleistungschip sind derzeit 60 Elemente erforderlich. Seltene Erden kommen zudem für Permanentmagnete von E-Motoren zum Einsatz, Platingruppenelemente sind bei Abgaskatalysatoren unabdingbar. Eine massiv anziehende Nachfrage ist absehbar, auch bei Mobilfunk-, Leuchtmittel- oder Windanlagenherstellern. In deren Turbinen arbeiten aus der seltenen Erde Neodym bestehende Hochleistungsmagnete.

Mit Rohstoffpartnerschaften (bislang nur mit der Mongolei und Kasachstan), der Deutschen Rohstoffagentur (DERA) und dem im Februar verabschiedeten „Ressourceneffizienzprogramm“ versucht die Bundesregierung eilig den befürchteten Versorgungsengpässen zu begegnen. Großes Rohstoffpotential, so meldet Thomas Cramer aus Bogotá, bieten die „geologisch weitgehend unerforschten“ Staaten Lateinamerikas. Kolumbien schwelge seit 2009 im Gold- und Coltan-Rausch.

Internationale Konzerne haben die Abbauwürdigkeitsgrenze für Gold dort bis auf 0,5 Gramm pro Tonne herabgeschraubt, ihre Projekte wurden bis in ökologische hochsensible Urwaldareale samt Indioreservaten vorangetrieben. Zu den wenigen zuverlässigen Reserveabschätzungen zählt chilenisches Kupfer, das die polnische Geologin Katarzyna Staniewska mit 100 Millionen Tonnen angibt, die 2030 erschöpft sind. Bolivianisches Lithium preist Cramers Kollege Ricardo A. Cardona (La Paz) als „Treibstoff für die Ära des Elektroautos“ an.

Trotzdem führt für das rohstoffarme Deutschland kein Weg daran vorbei, seine Importabhängigkeit zu verringern. Große Erwartungen verbinden sich daher mit den Forschungen der Arbeitsgruppen um Kerstin Kuchta (TU Hamburg-Harburg) und Susanne Rotter (TU Berlin), die in ihren Instituten Verfahren für die effiziente Wiederverwertung von Elektroaltgeräten (EAG) entwickeln. Gängige mechanische Aufbereitungsanlagen verursachten Edelmetallverluste von bis zu 60 Prozent, die manuelle Demontage erziele Ausbeuten bis 95 Prozent. Daher gingen 2007 noch 72 Prozent des EAG-Goldes verloren.

Bessere Trenntechnik könnte sowohl kritische Rohstoffe sichern als auch, wie Rotter meint, deutscher Recyclingtechnologie, die nach Ansicht von Michael Oberdörfer (Landesamt für Natur und Umwelt NRW) bereits weltweit „Spitze“ sei (Umweltmagazin, 7-8/12), eine „Schlüsselstellung“ in China und Indien einbringen, wo bald „größte Abfallmengen“ zu erwarten sind. Rotters Perspektiven monströs erweiternd, verweist der Ingenieur Peter Kiefhaber (Kaiserslautern) auch auf utopisch anmutende heimische Einsatzchancen beim „Goldschürfen in der Stadt“ (Urban Mining), da der gesamte deutsche Bauwerksbestand 50 Milliarden Tonnen mineralische Rohstoffe enthalte, die sukzessive wiederzuverwerten wären (Politische Ökologie, 129/12).

Damit stünde dem zweiten, „grünen Wirtschaftswunder“, das Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) bei einem erfolgreichen, an Energie- und Rohstoffeffizienz orientierten Umbau der Wirtschaft vorhersagt (Umwelt, 10/12), nichts mehr im Wege.

Aktuelle DERA-Rohstoffinformationen und Studien der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe: www.deutsche-rohstoffagentur.de

Foto: Geologe der Deutschen Rohstoff AG im Bohrkernlager: In Nordsachsen sollen seltene Metalle im Wert von 1,5 Milliarden Euro zu finden sein

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