© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/12 02. November 2012

Gotteslästerer sollen Preis der Lutherstädte erhalten
„Das unerschrockene Wort“: Der Generalsekretär der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland kritisiert die Nominierung der russischen Band „Pussy Riot“
(idea/JF)

Mit Unverständnis hat ein führender Repräsentant der Russisch-Orthodoxen Kirche in Deutschland auf die Nominierung der russischen Punkband „Pussy Riot“ für den Preis der Lutherstädte „Das unerschrockene Wort“ reagiert. Ebenso befremdlich seien manche Reaktionen aus den Reihen der evangelischen Kirche, etwa die Äußerungen der EKD-Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017, Margot Käßmann. Sie hatte die Nominierung von „Pussy Riot“ für den Zivilcouragepreis der Lutherstädte begrüßt.

Wie der Generalsekretär der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland, Nikolaj Thon, der Evangelischen Nachrichtenagentur idea auf Anfrage sagte, zeigt beides, wie weit sich die Wertevorstellungen der russisch-orthodoxen Kirche und führender Repräsentanten des deutschen Protestantismus voneinander entfernt haben. In weiten Teilen der evangelischen Kirche scheine anstelle der Freiheit des Evangeliums „Freiheit pur“ getreten zu sein. Sein Eindruck sei, daß im „Mainstream-Protestantismus“ in Deutschland alles begeistert begrüßt werde, was in Rußland gegen den Strom schwimme: „Je oppositioneller, desto besser.“ Das zeige sich beispielsweise auch in der Debatte um Homosexualität. Während der Begriff „Tradition“ für orthodoxe Christen einen positiven Klang habe, sei er in weiten Teilen des Protestantismus offenbar gleichbedeutend damit, rückständig zu sein, sagte Thon.

Die Frauenband „Pussy Riot“ hatte am 21. Februar in der russisch-orthodoxen Kathedrale „Christus der Erlöser“ ein „Punkgebet“ gegen den heutigen Präsidenten Wladimir Putin und Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche angestimmt. Nach kirchlichen Angaben hatten die Sängerinnen bei dem Auftritt und in einem Videoclip Kirchenvertreter als „Sch... des Herrn“ und russisch-orthodoxe Christen als „Kriecher“ verspottet. Zwei Bandmitglieder wurden daraufhin wegen Rowdytums aus religiösem Haß zu zwei Jahren Straflager verurteilt.

Käßmann hatte die Nominierung von „Pussy Riot“ für den Preis der Lutherstädte beim „SWR UniTalk“ laut einer Mitteilung des Südwestrundfunks als „guten Preisvorschlag“ bezeichnet. Sie empfinde eine „große Sympathie mit den jungen Frauen“, weil sie mutig gewesen seien. Nun müsse entschieden werden, ob das preiswürdig sei oder nicht. Eine entsprechende Diskussion darüber sei richtig, so Käßmann.

Der Präsident der Internationalen Konferenz Bekennender Gemeinschaften, Pastor Ulrich Rüß, erklärte gegenüber idea, mit ihrem Auftritt habe „Pussy Riot“ die Verletzung und Demütigung russischer Christen bewußt ins Kalkül gezogen. Doch auch für den engagierten Verfechter von Menschenrechten habe zu gelten, daß Blasphemie und Herabwürdigung von Gläubigen kein Mittel des Protests sein könne. Mit Luthers unerschrockenem Wort, seinem ernsten Eintreten für die Heiligkeit Gottes und sein Wort, mit der Freiheit in Bindung an Christus habe „Pussy Riot“ nichts zu tun. Rüß: „Margot Käßmann hat sich als Botschafterin für das Reformationsjubiläum und das Anliegen der Reformation unglaubwürdig gemacht. Und das zum Schaden der Ökumene weltweit.“

Der Vorschlag der Stadt, die Punkband für den Preis zu nominieren, war aber auch in kirchlich liberalen Kreisen auf teils heftige Kritik gestoßen. So hatte der Theologe und frühere DDR-Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer erklärt, eine Lutherstadt solle keine „Gotteslästerung“ ehren. Die Punkband habe mit ihren Texten am falschen Ort provoziert. Der Wittenberger Propst Siegfried Kasparick hatte sich ebenfalls gegen die Nominierung ausgesprochen, weil sich Wittenberg damit „lächerlich“ mache.

Der Hauptausschuß der Stadt Wittenberg hatte „Pussy Riot“ für den mit 10.000 Euro dotierten Preis vorgeschlagen. Im November wird eine Jury über die Vorschläge der 16 Lutherstädte entscheiden. Geehrt werden sollen Persönlichkeiten, die im Sinne des Reformators Martin Luther (1483–1546) Zivilcourage gezeigt haben.

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