© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/12 02. November 2012

Sich selbst Gutes tun
Vielschreiber und Quotenjäger: Richard David Precht
Felix Dirsch

Nachdem in Deutschland die Universitäten besonders auch Philosophen kein geeignetes Forum mehr bieten, um sich einen Namen zu machen – es gibt schon lange keinen Heidegger, Guardini oder Gadamer mehr –, bleibt als Profilierungsgelegenheit nur die Flucht in den außerakademischen Bereich. Das Zaubermedium heißt auch für Geistes- und Kulturwissenschaftler: Fernsehen. Paradebeispiel dafür ist Richard David Precht (47). Seit Anfang September ersetzt die ZDF-Sendung „Precht“ das vormalige „Philosophische Quartett“.

Anders als sein Vorgänger Peter Sloterdijk, der nicht aalglatt daherkommt und Skandalisierungen einkalkuliert, war der charmante neue ZDF-Star an der Ochsentour durch die akademischen Gefilde desinteressiert. Nach Philosophiestudium, Assistentenzeit, Promotion und Mitarbeit an einem Forschungsprojekt scheint ihm seither der Erfolg als Buchautor recht zu geben. Ein FAZ-Artikel stilisierte ihn jüngst sogar zu Deutschlands bedeutendstem Intellektuellen – vorläufiger Höhepunkt einer wenig plausiblen Beweihräucherung.

Der junge Richard wächst mit seinen Geschwistern (darunter adoptierten aus Vietnam) in Solingen auf. Die Eltern, die sich dem linken Bürgertum zurechnen, stehen der DKP nahe. Prechts Erinnerungen an seine Kinder- und Jugendzeit, 2005, gerade vierzigjährig, unter dem Titel „Lenin kam nur bis Lüdenscheid“ erschienen, finden nicht nur viele Käufer, sondern werden sogleich verfilmt.

Manches, was für Gleichaltrige selbstverständlich ist, darf der Jugendliche nicht. So sind beispielsweise Hollywood-Filme tabu. Schließlich verbreiten sie Propaganda vom Klassenfeind USA! Marx-Lenin-Bierdeckel, Fahnen der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend, rauchende Hippies – alles heute Reminiszenzen an ferne Zeiten. Provinz-Revolution und Jugendcamp-Idylle in Lüdenscheid mögen im nachhinein romantisch verklärt werden. Precht schildert ein Milieu, aus dem um 1979/80 die „Grünen“ hervorgehen. Anders jedoch als bei dem Spiegel-Journalisten Jan Fleischhauer, der unter ähnlichen politischen Vorzeichen aufwächst, fehlt bei Precht die Distanz zu den Ereignissen.

Seit den späten Neunzigern richten sich Prechts Veröffentlichungen an ein breites Publikum. Die Diskussionen um Schaf „Dolly“ und „Rinderwahnsinn“ regen ihn an, den Umgang mit Tieren näher in den Blick zu nehmen. So entsteht die Schrift „Noahs Erbe“. Neben Sachbüchern kommen Romane auf den Markt, so „Die Instrumente des Herrn Jørgensen“ (mit Georg Jonathan Precht). 2003 folgt „Die Kosmonauten“. Hier wird das Schicksal eines Liebespaares mit der sich rasant verändernden Stadt Berlin verknüpft.

Der endgültige Durchbruch kommt mit dem Erfolgstitel „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ (2007). Die Verkaufszahlen explodieren. Ein spezielles Thema beschäftigt den Autor nicht; vielmehr verdeutlicht er als Generalist, welche philosophischen Fragen durch zentrale wissenschaftliche Entwicklungen aufgeworfen werden. Hirnforschung sowie Biologie, Sterbehilfe, Präimplantationsdiagnostik, das Verhältnis von Mensch und Tier – die Palette ist breit gefächert. Wer nur eine einführende Schrift sucht, wird kaum enttäuscht. Im Detail haben Kritiker jedoch auf etliche Schwachstellen hingewiesen, etwa auf falsches Hantieren mit Fachbegriffen oder unrichtige Schlußfolgerungen. So kann der Autor nicht belegen, warum neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse den Glauben an einen persönlichen Gott unmöglich machen sollen. Außerdem stört, wie er diverse Denker früherer Zeitalter selbstgerecht abkanzelt.

2009 legt Precht „Liebe. Ein unordentliches Gefühl“ vor. Darin widmet er sich dem unerschöpflichen Mann-Frau-Verhältnis in populärwissenschaftlicher Weise. Das Schmunzeln einiger Professorenkollegen über die behandelten Themen – Precht lehrt mittlerweile an der Universität Lüneburg – beantwortet er mit einem Hinweis auf die große Wirkung seiner Studien.

Kaum ist die Debatte über den Liebes-Traktat verklungen, macht schon der nächste Titel von sich reden: „Die Kunst, kein Egoist zu sein“ (2010). Precht präsentiert viele Belege für die Auffassung, daß Menschen sich selbst Gutes tun, wenn sie sich bemühen, anderen Gutes zuzufügen. Der Bogen reicht von Platons Diskurs über das Ideale bis zur Erörterung, wie sich öffentliche Verantwortung aufwerten läßt. Precht fordert eine stärkere Übernahme individueller Pflichten sowie eine Renaissance bürgerlicher Tugenden und eines „sozialen Patriotismus“, kennt jedoch die Grenzen der Umsetzbarkeit.

Prechts bisherige Philosophenkarriere verlief für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich. Fast ist man geneigt, jene „ordentlichen“ Philosophieprofessoren, insbesondere aus der gleichen Alterskohorte, wie Harald Seubert, Rainer Forst oder den Österreicher Robert Pfaller, zu bedauern, die akademische Forschungen betreiben, in der Öffentlichkeit aber nur selten Gehör finden.

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