© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/12 02. November 2012

Zeitschriftenkritik:
Erlebbares Mittelalter
Werner Olles

Der Mensch des Hochmittelalters, gleich welcher Religionszugehörigkeit, war fasziniert von dem Gedanken einer Existenz reiner Geistwesen und suchte mit aller Akribie nach Erkenntniswegen, um sich ihrer, da sie zur Schöpfungsordnung gehörten, zu vergewissern. Der aufgeklärte Mensch von heute hat nicht einmal davon eine historische Kenntnis, wie schon das ständige Nachplappern der primitiven Lüge vom „finsteren Mittelalter“ beweist. Seine Erkenntnispotenz ist eingeschränkt und fast nur noch auf zeitliche Dinge fixiert. Um so erfreulicher ist es daher, daß es inzwischen eine Reihe von Publikationen gibt, die sich – wenngleich auf populärwissenschaftlicher Ebene – der Mühe unterziehen, diesem offensichtlichen Mangel an Wissen auf die Sprünge helfen zu wollen.

Zu diesen Periodika zählt die zweimonatlich in einem Umfang von etwa 140 DIN-A-4-Seiten erscheinende Zeitschrift für erlebbare Geschichte Karfunkel. Neben einem umfangreichen Terminkalender für einschlägige Konzerte, Ausstellungen und Vorträge, zahlreichen Porträts mittelalterlicher Persönlichkeiten wie Fürsten, Ritter und Minnesänger, dem „kleinen Karfunkel-Lexikon“, dem „Karfunkel-Shop“, Kochrezepten und allerlei handwerklichen Anleitungen für den eigenen Gebrauch finden sich hier auch immer interessante und lesenswerte Beiträge zu den unterschiedlichsten Themengebieten. Im aktuellen Heft (Oktober–November 2012) informiert beispielsweise ein größerer Text über die „Gerichtsbarkeit im Mittelalter“. Tatsächlich mutet ja kaum ein Kapitel der mittelalterlichen Geschichte so grausam an wie das der Gerichtsbarkeit. Bis heute wird unser Bild geprägt von willkürlichen Folterungen, ungerechten Verhandlungen, chancenlosen Justizopfern, ehrverletzenden Maßnahmen wie dem Pranger oder brutalen Hinrichtungsarten wie Pfählen, Spießen, Rädern, Vierteilen oder Verbrennen. Wie jedoch eine Gerichtsverhandlung in der Realität ablief, wer die Richter und wer die Angeklagten waren, nach welchen Richtlinien die Urteile gefällt wurden und welche Strafen das Blutgericht wofür verhängte, all dies ist weitgehend unbekannt.

Dabei leugnet der Beitrag die Grausamkeiten keineswegs, gibt jedoch zu bedenken, daß sie beileibe nicht die Regel waren. So standen den Angeklagten Leumundszeugen und Eideshelfer zur Verfügung, und viele Strafen waren sogenannte „Ehrenstrafen“, die in ihrer schwächeren Form zumeist aus Spott, Beschimpfung oder Bloßstellen bestanden. Harmlos war indes auch dies nicht, denn im Mittelalter wurde der Ehre eine weitaus größere Bedeutung beigemessen als heutzutage.

Über „Seelen im Fegefeuer“ und „Geisteskrankheiten im Mittelalter“ berichtet ein weiterer Beitrag, der darüber aufklärt, daß bereits ab dem 12. Jahrhundert städtische Spitäler eingerichtet wurden, die die Betreuung der Geisteskranken übernahmen, in denen aber auch andere Kranke und Reisende versorgt wurden. Eine Ausnahme bildeten die Narren, die sprichwörtliche Narrenfreiheit genossen.

Kontakt: Karfunkel-Verlag, Marienhöhe 1. Das Einzelheft kostet 6,90 Euro, ein Jahresabo 69 Euro.

www.karfunkel.de

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