© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/12 02. November 2012

Der auf den Zug springt
Im Geheimdienst Ihrer Majestät: „Skyfall“ ist das eleganteste James-Bond-Spektakel seit Jahren
Wolfgang Paul

Der Film ist noch lange nicht am Ende, da wird der Bösewicht Silva gefaßt. Silva ist ein Ex-Agent des britischen Geheimdienstes, der von dem diesmal blondierten Javier Bardem hinreißend gespielt wird. In seiner gläsernen Zelle klagt er, seine Chefin M habe ihn einst geopfert und sei an der Zerstörung seines Gebisses schuld. Er nimmt seine Zahnprothese heraus und sieht mit seinen eingefallenen Wangen plötzlich nicht nur furchterregend, sondern auch ein wenig traurig aus – wie ein bemitleidenswertes Opfer.

Fünfzig Jahre hat es gebraucht und 23 Ausgaben (wenn man die klamaukige, nicht von Broccoli und Saltzman produzierte Parodie „Casino Royale“ beiseite läßt), um einen etwas komplexeren Gegenspieler des MI6 zu erschaffen. In „Skyfall“, gewissermaßen die „James-Bond-Jubiläumsausgabe“, muß nicht die Welt gerettet, sondern ein persönlicher Rachefeldzug gestoppt werden. Die „Firma“ mutiert zur Familie mit wütendem Sohn, M zur Mutter, auf die sich die Söhne nicht immer verlassen können.

Unter der Action-Oberfläche ist „Skyfall“ ein Familiendrama. Denn auch James Bond hat ein Problem mit M. Als er mit einem feindlichen Agenten um den Besitz einer Namensliste der gerade eingesetzten Agenten ringt, gibt M den Feuerbefehl, obwohl die Gefahr groß ist, daß der eigene Agent erschossen wird. Bond wird tatsächlich getroffen und gilt als tot. Da dies aber im furiosen Prolog des Films geschieht, kann man sich während der nun folgenden, wunderschönen Titelsequenz erst einmal entspannt zurücklehnen. Ein Bond-Film benötigt schließlich einen lebenden Bond.

„Skyfall“ ist das eleganteste Bond-Spektakel seit Jahren. Das liegt zunächst an den stimmungsvollen Bildern von Roger Deakins, dem Kameramann der Coen-Brüder. Regisseur Sam Mendes war eine kluge Wahl. Er hat für „American Beauty“ im Jahr 2000 den Regie-Oscar bekommen und zwei Jahre später mit „Road to Perdition“ bewiesen, daß er auch einen spannenden, visuell ansprechenden Thriller inszenieren kann.

An ihm liegt es also nicht, daß nach der am Anfang stehenden Verfolgungsjagd durch Istanbul die Spannung merklich nachläßt. Der Film eilt in der Folge von einem pittoresken Schauplatz zum nächsten, bis er im schottischen Hochland, im Landsitz Skyfall, wo Bond seine Kindheit verbracht hat, einen packenden Schlußpunkt setzt. An einer sich bisweilen arg spreizenden Extravaganz leiden die Bond-Filme ja schon seit geraumer Zeit.

Aber vielleicht ist gerade dies ein wichtiger Faktor für den immensen Erfolg der Serie. Die Filme versprechen etwas Besonderes und lösen dieses Versprechen regelmäßig ein. Die Plausibilität der Handlung sollte man dabei besser unbeachtet lassen. Nicht warum das eine aus dem anderen, sondern wie ein Einfall dem anderen folgt, ist die Frage.

Als Bond 1962 noch Dr. No jagte, gab es einen Roman von Ian Fleming als Vorlage, jetzt ist alles im Blick auf passende Action-Szenen erfunden. Dementsprechend hat sich auch die Bond-Figur gewandelt. Daniel Craig nimmt nicht wie ein gewöhnlicher Reisender den Zug, setzt sich in den Speisewagen und bestellt jenen geschüttelten Martini. Craig springt auf einen fahrenden Zug und kämpft dort mit seinem Widersacher. Der moderne Bond hängt am Boden eines in die Höhe sausenden Aufzuges oder springt auf eine anfahrende U-Bahn. Er muß sich alle Erfolge hart erarbeiten. Sean Connery glich dem Geschäftsmann, der so nebenbei die Kommunisten, die den Kalten Krieg in einen heißen umwandeln wollten, zur Strecke brachte. Seine Kondition war erst gefragt, wenn die Festung des Bösen erobert werden mußte. Daniel Craig ist der Arbeiter. Wenn er mit einer Frau im Arm im Bett liegt, hält der in der freien Hand eine Bierflasche.

Es lohnt nicht, der Nonchalance eines Sean Connery oder Roger Moore nachzutrauern. Nur durch konsequente Wandlungen hat die Serie Bestand. Daß sich in ihr auch gesellschaftliche Themen spiegeln (und dies aufschlußreicher als in vielen Autorenfilmen) macht ihren besonderen Reiz aus. M ist schon lange nicht mehr der ältere Herr, sondern eine seriöse Dame, von Dame Judi Dench überzeugend dargestellt. In „Skyfall“ droht ihr die Pensionierung, während sie und mit ihr der gesamte Geheimdienst ernsthaft bedroht werden. Aus dem väterlich-kauzigen Waffennarr Q ist jetzt ein Computer-Nerd geworden, der ihn spielende Ben Whishaw schaut aus wie Craigs Neffe. Dementsprechend verfügt der böse Silva nicht nur über die obligate Privatarmee, sondern auch über ein profundes Computerwissen, um in das MI6-Sicherheitssystem einzudringen.

Die schon vorab veröffentlichte Szene, in der Silva dem an einen Stuhl gefesselten Bond homosexuelle Avancen macht, ist ein weiteres Beispiel dafür, wie gesellschaftlich virulente Themen aufgegriffen werden. Das einzige Bond-Girl im klassischen Sinne gibt Bérénice Marlohe. Sie hat ziemlich kurze Auftritte, was bei ihrer äußerst aparten Erscheinung eine Schande ist. Naomie Harris ist von der Rolle einer erotischen Gespielin weit entfernt. Als Bonds kämpfende Kollegin versprüht sie einen Hauch von Sex-Appeal. Und sie hat – natürlich – einen wesentlichen Anteil am Gelingen der Mission. Daß Bond selbst homosexuelle Neigungen entwickelt, ist bislang undenkbar. Seine Heterosexualität gehört zum Markenkern. Noch.

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