© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/12 02. November 2012

Duell auf Augenhöhe
US-Präsidentschaftswahl: Hiebe und Stiche – aber noch ging keiner in die Knie
Elliot Neaman

Ob Barack Obamas schwacher Auftritt bei der ersten der drei Fernsehdebatten die Wiederwahl gekostet hat, muß sich am kommenden Dienstag an den Wahlurnen erweisen. In der Debatte vor gut vier Wochen gelang es Obamas Herausforderer Mitt Romney erstmals, das Image eines kalten und überheblichen Technokraten abzuschütteln, den einzig die eigene Anspruchshaltung motiviert, sich um das höchste Amt im Staat zu bewerben. Ein geläuterter Obama mußte hinterher eingestehen, daß seine schwache Leistung dem ehemaligen Gouverneur von Massachusetts erlaubt hatte, ihm auf Augenhöhe gegenüberzutreten und sich vielen Wählern als glaubwürdiger Nachfolger zu empfehlen.

Zwar konnte Obama sich in den folgenden Debatten berappeln, seinem Rivalen ein paar gut plazierte Hiebe versetzen, ohne daß es ihm auch nur annähernd gelungen wäre, diesen k.o. zu schlagen. Der Schaden, den die erste Debatte seinem Wahlkampf zugefügt hatte, ließ sich jedoch nicht mehr wiedergutmachen: Während Obama zuvor in den Umfragen eindeutig vorne lag, war der Wahlausgang plötzlich in vier der neun heiß umkämpften Schlüsselstaaten wieder vollkommen offen.

Jenseits der rhetorischen Stärken und Schwächen beider Kandidaten wurden im Zuge der Debatten auch inhaltliche Unterschiede deutlich, die indes entlang den bekannten Bruchlinien der US-Politik verlaufen: Romney würde sich als Präsident vornehmlich auf finanzpolitische Fragen, Steuern und Ordnungspolitik konzentrieren – im Glauben, daß nur eine uneingeschränkte freie Marktwirtschaft die Wettbewerbsfähigkeit der USA verbessern kann.

Eine Wiederwahl Obamas hingegen würde hohe staatliche Investitionen in die Schaffung von Arbeitsplätzen, erneuerbare Energien, Bildung, Gesundheitsfürsorge und weitere strukturelle Verbesserungen bedeuten – im Glauben, daß es Aufgabe der Regierung ist, die Grundbausteine zur Verfügung zu stellen, um im globalen Wettbewerb erfolgreich bestehen zu können.

Romneys Taktik bestand vornehmlich darin, sich als politisches Chamäleon zu profilieren. Der scharfe Rechtskurs, den er einschlagen mußte, um sich in den Vorwahlen die Unterstützung der wertkonservativen Parteibasis zu sichern, hätte ihm im nunmehrigen Endspurt leicht zum Nachteil gereichen können. Nun positionierte er sich bei den Fernsehdebatten ebenso dezidiert in der Mitte, um gemäßigte Republikaner, Gelegenheitswähler und die wenigen noch Unentschiedenen anzusprechen. Obama schärfte derweil sein Profil als Klassenkämpfer, indem er immer wieder darauf abhob, Romney als Interessenvertreter der Reichen darzustellen.

Während Obamas feurige Rhetorik sich in der Vergangenheit als Erfolgsrezept erwiesen hat, birgt Romneys pragmatische Kehrtwende zur Mitte gewisse Risiken. Daß er sich von einer deutlichen Abtreibungskritik distanziert hat, stößt in konservativen Kreisen auf Unmut. In der letzten Debatte vertrat er außenpolitische Positionen, die sich nur unwesentlich von denen des Präsidenten unterschieden. Dadurch schützte er sich einerseits vor dem Vorwurf, ein Kriegstreiber zu sein, enttäuschte aber zugleich diejenigen Wähler, die sich von ihm insbesondere in Richtung Iran ein Säbelrasseln erhofft hatten. Daß die Republikaner, deren politisches Handeln seit Obamas Amtsantritt von ideologischer Unversöhnlichkeit geprägt ist, ausgerechnet einen Mann zu ihrem Präsidentschaftskandidaten erkoren hatten, dessen Naturell jeglicher Radikalismus fremd ist, entbehrt nicht der Ironie.

Überhaupt wirkt Romney wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Kommentatoren haben angemerkt, daß seine Ausdrucksweise und seine höflichen Manieren eher in die 1950er Jahre zu gehören scheinen als in die unflätige Kultur von heute. Romney selber witzelte, er habe sich auf die Debatten vorbereitet, indem er 65 Jahre lang auf Alkohol verzichtete.

Tatsächlich hat Romney als Mormone mit den gleichen Vorurteilen zu kämpfen, die bislang mit einer einzigen Ausnahme den Einzug eines katholischen oder jüdischen Präsidenten ins Weiße Haus verhindert haben. Umfragen deuten darauf hin, daß Romneys Niederlage gegen John McCain in den Vorwahlen 2008 auch auf seine Religion zurückzuführen war. Weiterhin zeigen sie, daß viele Amerikaner wenig über Struktur und Inhalte des mormonischen Glaubens wissen und ihn daher eher als Kult denn als gesellschaftsfähige Religion ansehen.

Inzwischen spielt Romneys Religion offensichtlich eine geringere Rolle als vor vier Jahren, vielmehr hat er sich erfolgreich im Gegensatz zu Obama als „Werte-Kandidat“ positionieren können. Der überaus einflußreiche 94jährige evangelikale Prediger Billy Graham hat seine frühere Warnung vor Romney mittlerweile in eine Wahlempfehlung umgewandelt. Andere wie Bill Keller, der die erfolgreiche Netzseite liveprayer.com betreibt, haben ihren Anhängern nahegelegt, ihre Stimmen weder für Romney noch Obama, sondern für Jesus Christus abzugeben.

Romneys Wahlkampf stützt sich vor allem auf das Scheitern der Obama-Regierung, die hohe Arbeitslosigkeit und miserable Wirtschaftslage mit wirksamen Maßnahmen zu bekämpfen. Auch für die nächsten vier Jahre habe der Amtsinhaber keine neuen Ideen parat. Obama selber macht die Politik seines Vorgängers George W. Bush für die anhaltend schlechten Wirtschaftsdaten verantwortlich und reagiert auf Kritik aus den eigenen Reihen mit der Verteilung von Hochglanzbroschüren, die den Bürgern die für die kommenden vier Jahre geplanten Initiativen der Regierung schmackhaft machen sollen.

Foto: Gute Stimmung nach dem letzten TV-Duell: Mitt Romney und Barack Obama auf dem Weg zu ihren Fans

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