© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/12 02. November 2012

Morgen in Afrika
Bundeswehr: Die politische und militärische Führung bereitet die deutschen Soldaten auf einen Einsatz im westafrikanischen Mali vor
Martin Böcker

Der Bundeswehr droht ein neues Abenteuer. Auf einer Bundeswehrtagung in Strausberg ließ Bundeskanzlerin Angela Merkel in der vergangenen Woche durchblicken, daß demnächst deutsche Soldaten im westafrikanischen Mali zum Einsatz kommen könnten. In der Truppe mach sich Unruhe breit.

Zuvor hatten Merkel, Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) und Generalinspekteur Volker Wieker ihre Soldaten auf die seit zwei Jahren laufende „Neuausrichtung der Bundeswehr“ eingeschworen, verteidigten die Reform gegen Kritik verteidigt und ihre Offiziere zum Optimismus aufgerufen. Dann verwies Merkels auf die sicherheitspolitische Weltlage: Gewaltsame Umbrüche im Nahen Osten oder Nordafrika könnten sich überregional ausweiten, und die Gefahr der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen besteht nach wie vor. Diese Herausforderungen könne die Bundesrepublik nur im Zuge der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union sowie der Nato bestehen.

Dann kam die Kanzlerin auf das Engagement deutscher Soldaten in Mali. In dem Land, das als eines der ärmsten der Welt gilt, leben rund 30 verschiedene Ethnien in einer außerordentlich komplexen Gemengelage von säkularem Separatismus, islamistischem Extremismus, Stammesinteressen, organisierter Kriminalität, korrupter Politik und einer demoralisierten Armee, deren Soldaten den Offizieren und deren Offiziere der politischen Klasse nicht trauen.

Anfang dieses Jahres hatte die malische Armee gegen ihre Regierung geputscht, weil sie sich von ihr im Kampf gegen irreguläre Kräfte im Norden nicht ausreichend unterstützt gefühlt hatte. Diese Wirren wurden von einer Koalition aus islamistischen und nationalistischen Tuareg im Norden des Landes genutzt, sie hat die Macht an sich gerissen und einen unabhängigen Staat „Azawad“ erklärt. Sowohl die Armee als auch die politische Klasse sind jedoch in einem so desolaten Zustand, daß sie darauf nicht reagieren konnten. Malis Präsident, der von den Putschisten eingesetzte Dioncounda Traoré, hat daraufhin die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas um militärische Unterstützung gebeten. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat am 12. Oktober die Vorbereitung bewaffneter Maßnahmen gebilligt. Die Vereinten Nationen haben den Ecowas-Staaten 45 Tage Zeit gegeben, einen Angriffsplan zu entwerfen. Als Reaktion darauf reisten Hunderte islamistische Kämpfer, größtenteils aus dem Sudan und Westsahara, in den Norden Malis, um ihre Glaubensbrüder im Kampf zu unterstützen.

Allerdings sind auch die Tuareg in Mali sich nicht einig: Vertreter des einen Stammes verfolgen nationalistisch-säkulare Interessen, die eines anderen verfolgen religiöse Ziele: Sie nennen sich „Ansar Dine“ (Verteidiger des Glaubens) und möchten keinen unabhängigen Staat etablieren, sondern die Scharia verbreiten. Kurz nach der Rebellion und der Erklärung des „unabhängigen“ Staates Azawad vertrieben die Religiösen die Nationalisten. Wolfram Lacher, Westafrika-Experte der in Berlin ansässigen Stiftung Wissenschaft und Politik, wies allerdings darauf hin, daß die plakative Differenzierung zwischen diesen Nationalisten und jenen Religiösen zu einfach ist. Zwar könnte den islamistischen Tuareg die Aufrichtigkeit ihrer religiösen Überzeugungen nicht abgesprochen werden die Berichte über schariakonforme Rechtsprechung in Norden Malis sprechen Bände hinsichtlich Machterhalt und geschäftlicher Aktivitäten sind sie aber durchaus pragmatisch: Hinter den islamistischen und nationalistischen Fassaden spielen Rivalitäten zwischen den Tuareg-Stämmen eine wesentliche Rolle.

„Ansar Dine“ steht in einem Bündnis mit Al Qaida im Maghreb (AQIM), einem autonom agierenden Al-Qaida-Ableger in Teilen Westafrikas und den nordafrikanischen Mittelmeeranrainern, vor allem Malis nördlichen Nachbarn Algerien. Von ihnen sprach die Kanzlerin, als sie in Strausberg erklärte, „freiheitliche, demokratische Staaten“ könnten es nicht akzeptieren, „daß der internationale Terrorismus im Norden des Landes ein sicheres Rückzugsgebiet erhält“. Da zur Zeit weder die malische Armee noch andere Truppen Druck auf den Norden ausüben, können die islamistischen Tuareg im Bündnis mit AQIM sich in den wenigen nordmalischen Städten festsetzen und das Territorium weitgehend kontrollieren.

Diesen Einsatz wird die Ecowas jedoch nicht allein stemmen können, zumal die nördlichen Nachbarländer Malis, Algerien und Mauretanien keine Mitglieder der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, aber trotzdem in vielfacher Weise in den Konflikt verstrickt sind. Ecowas ist auf die Unterstützung der Afrikanischen und der Europäischen Union angewiesen, womit auch die Deutschen im Spiel wären.

Indirekt äußerte sich der Verteidigungsminister dazu in Strausberg: „Als starkes Mitglied der internationalen Gemeinschaft wird Deutschland künftig eher häufiger gefragt werden, wenn es darum geht, Verantwortung zu übernehmen – auch militärisch.“ Wenn ein Einsatz politisch gewollt, beschlossen und erforderlich sei, dann müsse die Bundeswehr bereitstehen: „Und zwar schnell und ohne lange Vorbereitung.“ Ende vergangener Woche schloß Regierungssprecher Steffen Seibert dann einen bewaffneten Einsatz in Mali kategorisch aus, zudem müsse geklärt werden, ob „überhaupt die Voraussetzungen für einen wie auch immer gearteten militärischen Einsatz“ vorlägen.

Die beginnende Diskussionen um den möglichen Einsatz der Bundeswehr in Mali und die Reden in Strausberg geben also einen Vorgeschmack darauf, daß die Bundeswehr auch nach dem Afghanistan-Einsatz innerhalb eines sehr weit definierten Verteidigungsbegriffs eingesetzt wird. Angesichts der verschiedenen Pulverfässer auf dem afrikanischen Kontinent, der daraus resultierenden Flüchtlingsproblematik und dem rohstoffreichen Boden dürfte die Zukunft der deutschen Streitkräfte in den kommenden Jahren wohl in Afrika liegen.

Foto: Bundeswehrpatrouille im Kongo (2006): Der Kontinent birgt zahlreiche Pulverfässer

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