© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/12 26. Oktober 2012

Krokodilstränen
Umweltpolitik: Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist auch ein gutes Geschäft für den Finanzminister
Wolfgang Phillipp

Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist ein Kernelement der energiepolitischen Strategie Deutschlands“, heißt es im „Nationalen Aktionsplan“ der Bundesregierung. Ihr Anteil am Bruttoendenergieverbrauch soll daher bis 2020 auf 19,6 Prozent steigen: „Der Anteil der erneuerbaren Energien im Stromsektor beträgt dabei 38,6 Prozent, der Anteil im Wärme-/Kältesektor 15,5 Prozent und im Verkehrssektor 13,2 Prozent.“

Doch der noch unter Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) akribisch auf Nachkommastellen ausformulierte Plan kollidiert mit der Lebenswirklichkeit. Und angesichts des Anstiegs der Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG, JF 43/12) mutieren immer mehr Politiker vom „Klimaschützer“ zum Wahlkämpfer. „Ich sehe dringenden Reformbedarf für das EEG“, erklärte Klimaschutzkanzlerin Angela Merkel vorige Woche auf dem Arbeitgebertag in Berlin. Doch eine Änderung der Ökostromförderung sei „hoch kompliziert“, die Widerstände angesichts der für 20 Jahre garantierten Renditen gewaltig. Besonders intensiv fließen die Krokodilstränen, wenn es um die von allen Stromverbrauchern zu bezahlende EEG-Umlage für Photovoltaikanlagen geht. Dabei kratzen die Politiker nur an der Oberfläche und verschweigen, wer hier von wem welche Zuwendungen erhält: Das EEG hat laut Paragraph 1 gemeinnützige Zielsetzungen: Im Interesse des Klima- und Umweltschutzes soll eine nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung ermöglicht werden; die Kosten der Energieversorgung sollen verringert und die Weiterentwicklung von Technologien zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien gefördert werden.

Diese Ziele können nur erreicht werden, wenn möglichst viele private Investoren durch gesetzliche Zuwendungen oder garantierte Preise dazu gebracht werden, Geld auf diesem Gebiet anzulegen. Es ist klar, daß dieses Ansinnen des Gesetzgebers sich in erster Linie an Investoren richtet, die über ein eher höheres Einkommen oder Vermögen verfügen. Nicht klar ist, warum bei dieser umweltpolitischen Zielsetzung anfallende Kosten nicht aus Steuermitteln erbracht, sondern wie eine zweite Stromsteuer den Stromverbrauchern auferlegt werden. Diese müssen die EEG-Umlage aus ihren schon versteuerten Einnahmen aufbringen. Die Schwächsten, gar nicht einkommensteuerpflichtigen Verbraucher, werden durch diese Abgabe am meisten betroffen.

Was hier abläuft, zeigt exemplarisch das Fallbeispiel einer auf einem Hausdach installierten Photovoltaikanlage: Ein Investor hat im Jahre 2008 eine Anlage zur Nutzung „solarer Strahlungsenergien“ installiert, die jährlich etwa 8.000 Kilowattstunden (kWh) Strom liefert. Diesen Strom müssen die Stadtwerke, die ihn ansonsten mit Strom beliefern, abnehmen und bezahlen. Der von ihnen zu entrichtende Preis pro kWh liegt höher als derjenige Preis, den die Stadtwerke selbst dem Investor abverlangen. Dieser wird steuerlich wegen des Betreibens der Anlage als Unternehmer angesehen. Seinen Gewinn muß er deshalb mit seinem jeweiligen persönlichen Spitzensteuersatz versteuern, nachdem Werbungskosten (Abschreibungen, Versicherung) von der Bemessungsgrundlage abgezogen worden sind.

Im Beispielsfall zahlen die Stadtwerke netto 3.878,85 Euro, wovon nach Abzug der Werbungskosten steuerlich wirksam 1.788 Euro übrigblieben. Nachstehend wird im Anschluß an eine Rechtsprechung der Oberlandesgerichte in anderem Zusammenhang davon ausgegangen, daß der durchschnittliche Spitzensteuersatz inklusive Solidarabgabe 35 Prozent des steuerpflichtigen Einkommens beträgt. 35 Prozent von 1.788 Euro ergeben jährlich 625 Euro. Bezogen auf 8.000 kWh ist das eine Steuerbelastung von 7,8 Cent pro von dem Investor erzeugte kWh. Außerdem verdient der Staat auch noch die Umsatzsteuer auf diese Position mit weiteren 19 Prozent, so daß sich die Gesamteinnahme des Staates aus der Ökoproduktion des „Investors“ pro Jahr auf 743 Euro beläuft. Das sind, bezogen auf 8.000 gelieferte kWh, nicht weniger als 9,3 Cent pro kWh. Der angeblich „umweltschützende“ Staat verdient also am Solarstrom mit 9,3 Cent pro kWh mehr als das Vierfache der Stromsteuer von 2,05 Cent pro herkömmlich erzeugter kWh. Auch um dem Staat dieses zuzuschanzen, liegt für Photovoltaikanlagen die Sonderabgabe bereits bei 3,49 Cent und wird im Jahr 2013 zwecks Auslösung der von den Investoren zu zahlenden Einkommensteuer auf rund 5,3 Cent je kWh angehoben werden.

Die Besteuerung der „Ökoeinnahmen“ der als Unternehmer anzusehenden Investoren wäre allerdings nur dann gerechtfertigt, wenn die zufließenden Beträge auch aus Steuermitteln stammten. Es ist aber ein himmelschreiendes Unrecht, daß der Staat über Strompreise Bevölkerungskreise, die für Steuerzahlungen gar nicht in Frage kommen, massiv heranzieht und die doch von ihm angeblich so ersehnte erneuerbare Energie durch Besteuerung der Investoren mehr als viermal so hoch belastet wie den „schmutzigen“ Normalstrom aus Kohle oder Atomkraftwerken. Von daher gesehen besteht kein Interesse des Staates, die Situation zu ändern.

Die Klagen der Politiker dazu sind daher in der Tat „Krokodilstränen“. Sie verdecken, daß es der Staat ist, der auch den Umweltschutz und die Probleme um die Energieversorgung benutzt, um noch mehr aus den Bürgern herauszuholen. Bei anderen „Subventionen“ des Staates liegt es übrigens ähnlich. Für wärmeerzeugende Solaranlagen auf dem Dach gibt es immerhin aus Steuermitteln finanzierte Zuschüsse, die in aller Regel aber wesentlich niedriger liegen als die Umsatzsteuer, welche der Erwerber für die Anschaffung der Anlage an den Staat bezahlen muß.

Foto: Solarzellen als moderne Dachbedeckung: Der Anteil der erneuerbaren Energien im Stromsektor soll bis 2020 auf 38,6 Prozent steigen

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