© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/12 26. Oktober 2012

Die Grenzen der Leinwand
Literaturverfilmung: Detlev Buck hat sich an Daniel Kehlmanns Bestseller „Die Vermessung der Welt“ gewagt / Ein Film folgt anderen Gesetzen als Literatur
Wolfgang Paul

Unverfilmbar? „Die Vermessung der Welt“ kommt diesen Donnerstag ins Kino – in 3D-Technik.

Daniel Kehlmanns fiktive Doppelbiographie war im Erscheinungsjahr 2005 eine literarische Sensation. Die parallel erzählten Lebensläufe zweier Koryphäen der Wissenschaft aus der Zeit um 1800 stand monatelang ganz oben in den Bestsellerlisten, wurde in mehr als vierzig Sprachen übersetzt und damit zu einem Welterfolg. Dabei mag der Gegensatz der beiden Lebenswege, die in diesem Roman zusammengebracht wurden, zum Erfolg beigetragen haben.

Während der Naturforscher Alexander von Humboldt (1769–1859) auf gefährlichen Expeditionen exotische Länder vermaß und nach unbekannten Mineralien, Pflanzen und Tieren suchte, saß der Mathematiker Carl Friedrich Gauß (1777–1855) an seinem Schreibtisch in Braunschweig und später in Göttingen und löste nur durch Nachdenken die kompliziertesten mathematischen Probleme. Beide verband ihr Wissensdrang – sie wollten die Welt verstehen.

Um sich diesen beiden außergewöhnlichen Geistesgrößen zu nähern, griff Kehlmann zu einem Trick: er gab ihre Äußerungen in indirekter Rede wieder. Das schuf eine Distanz, die mal ironisch, mal durchaus bewundernd war. Vor allem dieses Stilmittel brachte dem Buch den Ruf ein, es sei unverfilmbar.

Nun muß nach den Gesetzen des Marktes der unverfilmbare Weltbestseller heutzutage erst noch erfunden werden. Alle Besitzer des betreffenden Buches gelten als potentielle Kinogänger, ganz besonders diejenigen, die es ungelesen in ihrem Regal stehen haben. Dies weckt das Interesse der Filmproduzenten, in diesem Fall Claus Boje und Detlev Buck, der auch Regie führte und mit Daniel Kehlmann und Daniel Nocke („Sie haben Knut“) am Drehbuch arbeitete.

Von Kehlmann stammt die erste Drehbuchfassung, er gibt außerdem den Off-Erzähler und spielt eine kleine Rolle. Die Umsetzung steht gewissermaßen unter seiner Schirmherrschaft, und der Autor versucht, möglichst viel vom Roman in den Film hinüberzuretten (die indirekte Rede mußte allerdings in Dialoge umgesetzt werden). Daß ein Film anderen Gesetzen gehorcht als die Literatur, wurde sowohl von Kehlmann als auch von Buck in den vorauseilenden Werbe-Talkshows betont. Um so mehr überrascht die Nähe des Films zu seiner Vorlage. Natürlich wurden Szenen weggelassen, wohl auch im Verlauf der Drehbuchüberarbeitungen – bei den dreihundert Seiten des Romans eine pure Notwendigkeit –, dennoch arbeitet die Adaption die meisten Ereignisse des Romans gewissenhaft ab.

Dabei sorgt nicht zuletzt die 3D-Technik für eine Verschiebung der Gewichte. In den zugegeben eindrucksvollen dreidimensionalen Bildern, die „Harry Potter“-Kameramann Slawomir Idziak aufgenommen hat, dominiert beispielsweise die Naturkulisse bei Humboldts Urwaldexpedition, seine Überlegungen, seine Motive werden zum Beiwerk. „Ein bildgewaltiges Kinoabenteuer“, heißt es im Presseheft des Verleihs. Eine zutreffende Beschreibung, geht es doch dem Film zuerst um die Schauwerte: ferne Länder, wie man sie noch nicht gesehen hat, herrschaftliche Höfe in Deutschland und im Kontrast dazu die schmutzig-graugrünen Viertel, in denen der junge Gauß im ausgehenden 18. Jahrhundert aufwächst.

Regisseur Detlev Buck vermeidet jeden Anschein von Behäbigkeit. Er erzählt die Biographien mit dem Witz der Vorlage, auch auf die Gefahr hin, daß die Wissenschaftler manchmal zu Karikaturen werden und er die Balance der Vorlage nicht halten kann. Aber Buck hat ja schon in Filmen wie dem im Berliner Problemkiez Neukölln spielenden „Knallhart“ bewiesen, daß er ein mutiger Filmemacher ist, der ein Risiko nicht scheut.

Der erwachsene Gauß ist eine dankbare Aufgabe für Florian David Fitz, der nüchterne Lebensklugheit und harsche Arroganz gut auszuspielen weiß. Gauß stammt aus ärmlichen Verhältnissen, nur seine außerordentliche mathematische Begabung, mit der er schon als kleiner Junge aufgefallen ist, hat ihn berühmt gemacht.

Schwieriger ist für den Theaterschauspieler Albrecht Abraham Schuch die Rolle des unsteten Aristokraten Humboldt, der seinem Reisebegleiter, dem Franzosen Bonpland (Jérémy Kapone), manches Rätsel aufgibt. Humboldt vertritt eben preußische Tugenden, die im heutigen Kino schwer zu vermitteln sind. Eine erfreuliche Entdeckung ist die aparte Vicky Krieps, die Gauß’ erste Frau spielt. Johannas früher Tod (sie starb bereits 1809 nach der Geburt ihres dritten Kindes) beraubt nicht nur Gauß seiner großen Liebe, sondern auch den Film seiner attraktivsten Darstellerin.

Das große Problem dieser Verfilmung ist aber die Parallelmontage der beiden Lebensläufe. Davon können auch die kunstvollsten Übergänge nicht ablenken. Im Roman entsteht in der Phantasie des Lesers ein gemeinsamer Raum, in dem beide, der Theoretiker und der Empiriker, Platz haben und schließlich zusammengehören. Im Film gelingt das nicht, ungeachtet der Szene am Ende, in der Humboldt und Gauß auf einer Berliner Polizeiwache darüber philosophieren, daß ihnen die Welt trotz all ihrer Bemühungen ein Rätsel geblieben ist. Im Film laufen die beiden Lebensgeschichten nebeneinanderher, das Ganze wirkt konstruiert. Man fragt sich, was Humboldt und Gauß miteinander zu tun haben.

So erweist sich der Roman „Die Vermessung der Welt“ am Ende eben leider doch als unverfilmbar.

www.warnerbros.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen