© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/12 26. Oktober 2012

Im Interesse Britanniens
Großbritannien: Innenpolitisch unter Druck, versucht Premier Cameron mit verstärkter EU-Kritik zu punkten
Josef Hämmerling

Großdemonstrationen gegen den Sparkurs, revoltierende konservative Hinterbänkler, Umfragen, in denen die Mehrheit der Befragten einen Austritt aus der EU wünscht, sowie die immer stärker werdende EU-kritische United Kingdom Independence Party (UKIP) bereiten dem britischen Premierminister David Cameron zunehmend Sorgen.

Obwohl der Parteivorsitzende der Konservativen ebenfalls eher zu den EU-Kritikern gehört, muß er derzeit einen Schlingerkurs fahren, um alle Interessen unter einen Hut zu bringen. So konnte er erst vor kurzem nur mit den Stimmen des liberaldemokratischen Koalitionspartners und der in der Opposition befindlichen Arbeiterpartei einen Antrag von 80 konservativen Parlamentsmitgliedern abweisen, die ein Referendum der britischen Bevölkerung über den Austritt aus der Europäischen Union erzwingen wollten.

Dies war der bisherige Höhepunkt in einem an Stärke immer weiter zunehmendem Streit über die weitere EU-Politik des Landes. Viele politische Beobachter glauben inzwischen, daß ein Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union – oder zumindest gravierende Änderungen im EU-Vertrag – immer wahrscheinlicher werden, Cameron dies aber sehr sorgfältig vorbereiten muß. Denn der Vorsitzende der Liberaldemokraten, Nick Clegg, der auch stellvertretender Premierminister ist, ist ein ausgesprochener EU-Liebhaber.

Zudem führt die oppositionelle Labour Party derzeit klar bei den Wahlumfragen, bei denen auch die UKIP, die den Austritt aus der EU propagiert derzeit bei etwa 13 Prozent liegt. Zu guter Letzt kann sich Cameron in Brüssel nur dann Verhandlungsspielraum erhalten, wenn er Merkel und Co. nicht allzusehr vor den Kopf stößt.

So glauben auch viele, daß Cameron hinter dem Aufstand der 80 konservativen Parlamentarier stand und diese die Drecksarbeit machen ließ, um von Brüssel mehr Zugeständnisse zu fordern. So zum Beispiel mit der Drohung eines britischen Vetos gegen das EU-Budget, sofern dieses für den Zeitraum zwischen 2014 und 2020 zur Unterstützung armer Regionen in der EU noch weiter vergrößert werden sollte.

Camerons konservativ-liberale Regierung hatte bereits eine Teilnahme am europäischen Stabilitätspakt abgelehnt. Des weiteren forderte der britische Premier die Aufspaltung des Budgets in eines für die Staaten der Eurozone und eines für die übrigen Mitglieder. Hierfür erhält er durchaus Unterstützung, denn auch in anderen Nicht-Euro-Staaten wird hierüber diskutiert.

Weiteren Druck will die britische Regierung mit dem „Balance-of-competence“-Programm aufbauen, das jüngst vom EU-kritischen britischen Außenminister William Hague vorgestellt wurde. Geprüft werden sollen insbesondere die Zuständigkeiten der EU sowie deren positive wie negative Auswirkungen für Großbritannien. Umgesetzt werden soll dieses Programm durch die einzelnen britischen Ministerien in enger Abstimmung mit den Regionalparlamenten und allen Unternehmen und Organisationen, die mit der EU zu tun haben. So zum Beispiel Automobilhersteller zu EUweiten Produktnormen, Ansichten von Nichtregierungsorganisationen zur EU-Umweltpolitik und das Urteil von Sicherheitsexperten über die Bekämpfung der organisierten Kriminalität.

Um den Druck auf die Europäische Union zu verstärken, droht Cameron zudem mit der Durchführung einer Volksabstimmung. Dabei soll es aber nicht um einen Austritt aus der EU gehen, „der nicht im besten Interesse unseres Landes“ wäre, so der britische Premier. Allerdings sollten weite Teile der Gesetzgebung, die soziale Fragen, Arbeitszeiten und die Innenpolitik betreffen, abgeschafft werden.

Bei einem vollständigen Austritt aus der Europäischen Union fürchtet der Tory-Vorsitzende vor allem negative Konsequenzen für den britischen Finanzmarkt, der 35 Prozent aller Finanzdienstleistungen in der EU erbringt. Auch der uneingeschränkte Zugang zum europäischen Binnenmarkt und das Mitspracherecht bei den Exportregeln ist für die Handelsnation Großbritannien von enormer Wichtigkeit. Dennoch gibt sich Cameron von der Realität scheinbar unbeeindruckt: „Es wird die Möglichkeit geben, daß wir das Maximale herausholen können aus unserem Engagement in Europa.“

Foto: Premier David Cameron: „Aus unserem Engagement in Europa das Maximale herausholen“

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