© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/12 26. Oktober 2012

Tomáš Sedlácek. Der tschechische Starökonom sorgt auch in Deutschland für Furore
Der Feuerkopf
Josef Hämmerling

Es gibt keine Krise des Kapitalismus, sondern eine Krise des Wachstumskapitalismus“, sagt lächelnd, aber mit tiefem Baß und sehr energisch der tschechische Starökonom Tomáš Sedláček, der von der amerikanischen Yale Economic Review als einer „der fünf heißesten Köpfe der Wirtschaft“ bezeichnet wird. Mit seinem inzwischen mehr als 100.000mal verkauften Buch „Die Ökonomie von Gut und Böse“ – unlängst auch in Deutschland erschienen – hat Sedláček, der auch Chefvolkswirt der Tschechischen Handelsbank und Mitglied des Nationalen Wirtschaftsrates ist, unser Verständnis von der Wirtschaftswelt revolutioniert: Denn erstmals hat ein Ökonom versucht, die Kultur- und Wirtschaftsgeschichte vom Gilgamesch-Epos über das Alte Testament und Thomas von Aquin bis hin zu Hollywood mit all ihren Gemeinsamkeiten darzustellen. So ist dem rothaarigen, unorthodox auftretenden Tschechen zufolge jede Kaufentscheidung immer auch eine moralische Entscheidung.

Es brauchte Zeit, bis sich Sedláček Thesen durchsetzten, noch die erste Fassung seines Buches wurde von der Prager Universität als Doktorarbeit abgelehnt. Doch da ist der 35jährige in guter Gesellschaft: Léon Walras, einer der ökonomischen Gründerväter überhaupt, geschah vor 150 Jahren in Paris gleiches.

Immerhin erkannte der damalige Präsident Václav Havel das Genie seines im nordböhmischen Raudnitz geborenen Landsmannes und ernannte ihn 2001 zum persönlichen Berater. Ab 2004 sollte er für den Finanzminister das tschechische Haushaltsdefizit reduzieren und das Steuersystem reformieren. „Aufgrund der übermäßigen Politisierung der Arbeit im Ministerium“ gab Sedláček sein Amt jedoch 2006 auf und fühlt sich in seiner Ansicht bestätigt: Die Top-Entscheider sind in einer „sündhaften Struktur“ gefangen – zwar hätten die meisten gute Absichten, am Ende komme aber oft Schlechtes heraus. Inzwischen habe in der Ökonomie eben die Mathematik die Oberhand über Moral und Menschenverstand gewonnen. Das zeige sich etwa im Wachstumsfetischismus und der hemmungslosen Verschuldungsmentalität.

Seit dem Erscheinen seines Buches 2009, angeblich das erste nichtfiktive Buch, das in der Tschechei in die Bestsellerlisten kam, beschäftigt man sich mit Sedláčeks Thesen. Doch obwohl er für sein Werk sogar den World Press Award bekam, bleibt die Umsetzung durch die Politik aus. Dabei versucht er seine Thesen auch auf ungewöhnliche Weise der Öffentlichkeit näherzubringen: etwa als Theaterstück, das in Prag mit großem Erfolg als Lesung mit szenischer Darstellung aufgeführt wurde. Zur Bewältigung der aktuellen Krise in Europa, fordert Sedláček, wieder mehr auf die Bedeutung von Ethik sowie kulturellen Normen und Werten zu setzen. Dann sei die Krise auch beherrschbar, meint er – und nimmt kopfnickend eine tiefe Prise seines Schnupftabaks.

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