© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/12 19. Oktober 2012

„Gott muß Umweltschützer sein“
Auf der Herbsttagung der Herbert-Gruhl-Gesellschaft wurde kontrovers über den Atomausstieg und seine Folgen diskutiert
Heiko Urbanzyk

Egal, ob man uns die Kosten aufbrummt oder die Heizung im Winter bei minus 20 Grad abschalten wird. Die Atomlobby wird uns weichkochen“, weiß Holger Strohm. In den zwei Stunden zuvor präsentierte die Herbert-Gruhl-Gesellschaft (HGG) zum Auftakt ihrer Herbsttagung Strohms Anti-AKW-Dokumentation auf der Leinwand: „Friedlich in die Katastrophe“. Es war zugleich das Leitthema der diesjährigen Tagung und der Titel eines seiner erfolgreichsten Bücher, deren Auflage in die Hunderttausende geht.

Strohm war in den Siebzigern der „erste ernstzunehmende Kritiker der Atomindustrie in Deutschland“ (FAZ). Im großen Saal des Neuenburger Kinos machte er klar, daß er dem Atomausstieg nicht traue. In seinem Film begleitet düstere Musik die Bilder toter und sterbenskranker Kinder. Opfer der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki, Opfer von US-Uranmunition. Tränen fließen. Auch die Anti-AKW-Bewegung kann weichkochen, nur anders. Im Saal sind nicht nur Tagungsteilnehmer. Den Großteil machen Ökoaktivisten und Bürger der Region aus. Neuenburg am Rhein liegt gegenüber dem französischen AKW Fessenheim.

Die Protestbewegung in der Stadt ist stark und allgegenwärtig. Vor dem Kino werden Flugzettel für eine Demo gegen das AKW verteilt. Entsprechend groß ist der Zuspruch in der Diskussion nach dem Film. Mutig ist ein Zuschauer, der ruft „Ich glaube nicht, daß Atomkraft tötet.“ Er verweist auf die blühende Tier- und Pflanzenwelt in Tschernobyl und rüttelt damit selbst passive Zuhörer wach. Schnell wird der Kritiker der Kritiker unter Wortmeldungen begraben.

Einen Tag später wird Strohm über sein Buch „Das Wunder des Seins und seine Zerstörung“ referieren. Gott müsse Umweltschützer sein, meint er, und verweist auf den irdischen Lebenskreislauf wie auch auf die Schwarzen Löcher im Weltall, die Materie aufsaugen und neue Materie gebären: „Gott recycelt!“

Das Wunder des Seins sei das Zusammenspiel mathematischer Unwahrscheinlichkeiten, die das Leben auf der Erde rein naturwissenschaftlich betrachtet ermöglichen. „Wenn Gott das Leben schafft, dann sind wir Menschen der Teufel, der das Leben zerstört.“ Jeder Eingriff des Menschen durch Atomkraft, Gen- oder Nanotechnologie zerstöre das derzeitige Gleichgewicht. Eine Erkenntnis, die alle anwesenden Ökologen vereint.

„Sie gehören zu der Kategorie Mensch, die ...“, setzt ein Tagungsteilnehmer an und wird durch den HGG-Vorsitzenden Volker Kempf sofort unterbrochen: „Bitte nicht persönlich werden!“ Grund der Aufwallungen ist der Vortrag des Elektrotechnikers Friedhelm Meßmer. Der Erfinder referiert über „Nutzen und Nachteil der Alternativenergien“. Seine Ausführungen sind bar jeglicher Ideologie: 5.000 Windkrafträder brauche die Region, um das AKW Fessenheim zu ersetzen. Wer könne das wollen? Und die sogenannte energetische Sanierung von Häusern? Viel zu teuer! Da trifft der Geist des Häuslebauers auf ökologischen Fundamentalismus. „Sie sind in diesem Kreise falsch“, wirft ein Zuhörer entrüstet ein. „Wir fragen nach dem langfristigen Nutzen für die Umwelt, nicht nach kurzfristigen Kosten.“ Meßmer bleibt gelassen. Auch er ist für dezentrale und alternative Energien. Nur nicht für das, was uns die Grünen heute verkaufen wollen.

Symbolisch ist das Ausflugsziel der Tagung. Die Ruinen der römischen Therme in Badenweiler. „So darf es mit uns nicht enden“, ist man sich einig. Pessimismus und Hoffnung gehen an diesem Wochenende Hand in Hand.

Herbert-Gruhl-Gesellschaft: www.herbert-gruhl.de

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