© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/12 19. Oktober 2012

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Kein Entkommen aus der Target-Falle: Hans-Werner Sinn stellte in Berlin sein neues Buch zur Euro-Krise vor
Jörg Fischer

Einer der streitbarsten deutschen Ökonomen, Hans-Werner Sinn, hat vorigen Freitag in Berlin sein neues Buch zur Euro-Krise vorgestellt. Und da kurz zuvor bekannt wurde, daß der Friedensnobelpreis an die EU geht, nutzte der Chef des Münchner Ifo-Instituts die Gelegenheit, gleich am Anfang sein Bekenntnis „zu Europa“ abzulegen: Ja, auch er begrüße diese Entscheidung, die EU habe in der Tat zur Verbreitung von Frieden und Versöhnung beigetragen – um dann sogleich darauf hinzuweisen, daß diese Errungenschaften durch die Euro-Krise aber in Gefahr seien.

Für Sinn sind nicht die umstrittenen Rettungsschirme EFSF und ESM, sondern die Ungleichgewichte im Zahlungssystem der Euro-Zone (die Target2-Salden) der gefährlichste Sprengstoff für die EU. Die defizitären EU-Länder im Süden (vor allem Griechenland, Portugal, Spanien und Italien) finanzierten sich seit 2008 faktisch durch „Überziehungskredite“ im Verrechnungssystem der Europäischen Zentralbank (EZB). Derzeit bestünden schon Forderungen von 1,4 Billionen Euro gegenüber diesen Ländern – nur 18 Prozent resultierten aber aus den diversen Rettungspaketen, 82 Prozent hingegen aus den Target2-Krediten. Das erklärt auch Sinns Buchtitel: „Die Target-Falle – Gefahren für unser Geld und unsere Kinder“.

Welche Gefahren in der Euro-Krise lauern erläutert Sinn in seinem neuen Werk umfassend. Besonders anschaulich ist sein Vergleich der EZB mit dem Fed-Zentralbanksystem in den USA: Auch hier seien die entsprechenden Isa-Salden ab 2008 in Folge der Weltfinanzkrise sprunghaft angestiegen, doch jeweils im April muß dort getilgt werden. Für den Unternehmensberater Roland Berger, der auf dem Podium der Buchvorstellung dabei war, ist das 417seitige Werk sogar die „umfassendste Darstellung des Euro und seiner Rettungspolitik“.

Obwohl Sinn seine Erläuterung der komplizierten Materie mit zahlreichen farbigen Grafiken unterstützt, schienen aber nur wenige der anwesenden Medienvertreter wirklich verstanden zu haben, worum es etwa bei der 700-Milliarden-Forderung der Bundesbank im EZB-System geht. Dennoch versuchte Sinn selbst naive Journalistenfragen geduldig wiederholend zu beantworten. Eine taz-Journalistin beharrte indes so energisch auf ihrer eigenwilligen Sichtweise, daß sie nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung noch – wild gestikulierend – mit Sinn minutenlang über den Podiums­tisch hinweg diskutierte.

Foto: Ifo-Chef Sinn in Berlin: Vergleich mit dem Fed-System in den USA verdeutlicht die dramatische Entwicklung

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