© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/12 19. Oktober 2012

Brückenbauer auf Abwegen
USA: Als innen- und außenpolitischer Versöhner gescheitert, versucht Präsident Barack Obama kurz vor Präsidentenwahl zu retten, was zu retten ist
Ralph Schöllhammer

Unabhängig davon, wie die Wahl im November ausgeht, einen zweiten Nobelpreis dürfte Barack Obama wohl kaum bekommen. Einst angetreten als Brückenbauer und Versöhner, so ist von seinem einstigen Profil nicht mehr viel übrig – und das wird auch seiner eigenen Partei zunehmend klar. Viele Demokraten reagieren peinlich berührt, wenn man sie an Obamas Nominierungsrede zum Präsidentschaftskandidaten 2008 erinnert: „Das ist der Moment, in dem der Anstieg der Weltmeere nachließ und unser Planet zu heilen begann.“

Die Euphorie, die ihren Kandidaten ins Weiße Haus spülte, beflügelte den Traum vieler Demokraten, die USA nachhaltig nach europäischem Vorbild zu verändern, und die Wahl Obamas wurde als Mandat dazu verstanden. Nur stellte sich bald heraus, daß ein Großteil der Amerikaner an diesem Projekt nicht teilhaben will: Je mehr Obama für die Gesundheitsreform warb, desto unpopulärer wurde sie in den Umfragen.

Bereits kurz nach Amtsantritt verlor Obama die Gabe, seine Basis noch wie zu Wahlkampfzeiten zu mobilisieren. Trotz aller Kritik an der Tea-Party-Bewegung war es die amerikanische Rechte, welche durch Obamas Wahl mobilisiert wurde und die Kongreßwahlen 2010 entscheidend beeinflußten, während sich die harte Linke zunehmend von Obama abwendet. Die als Gegenbewegung stilisierte Occupy-Bewegung hat sich nach einem Jahr praktisch von selbst aufgelöst ohne jemals wirklich den politischen Prozeß beeinflußt zu haben.

Obama konnte vielen Versprechungen nicht gerecht werden. Wollte er nicht Guantánamo schließen oder das US-Haushaltsdefizit halbieren? War es nicht sein Ziel, Amerika nicht nur mit sich selbst, sondern mit der Welt zu versöhnen. Doch die USA sind in der arabischen Welt nicht beliebter geworden und müssen nach dem arabischen Frühling zunehmend um ihren Einfluß in der Region bangen. Afghanistan wird nach dem „unverhandelbaren“ (Vizepräsident Joe Biden) Truppenabzug 2014 zu weiten Teilen zurück an die Taliban fallen, und auch die nuklearen Ambitionen des Iran konnten unter Obama nicht beendet werden. Der Newsweek-Kolumnist Niall Ferguson schrieb in einer Anspielung an den römischen Kaiser Nero, daß „Obama fiedelt, während die Welt brennt“.

Mit der Wirtschaft weiterhin im Rückwärtsgang und einer schwachen Bilanz in der Außenpolitik, wundert es nicht, daß Obamas Team auf die in den USA polarisierenden Themen wie Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehe setzt. Trotz aller Versuche Vizepräsident Bidens, die Wirtschaftspolitik Obamas als Erfolg zu verkaufen, weiß die Partei, daß sie sich bei diesem Thema in der Defensive befindet. Um so mehr muß Obamas Team auf dem Feld der emanzipatorischen Identitätspolitik seine Anhänger um sich scharen – Minderheiten und weiblichen Wählern wird das Bild einer republikanischen Partei präsentiert, welche Frauen aus dem Erwerbsleben drängen und Minderheiten ihrer Rechte berauben will. Höhepunkt dieser Strategie war der Ausruf Bidens zu einem hauptsächlich afroamerikanischen Publikum in Virgina, daß ein Präsident Romney sie „alle wieder in Ketten legen“ würde.

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß eine solche Verlagerung des Wahlkampfes den gewünschten Erfolg haben könnte und Obama die notwendigen Stimmen zur Wiederwahl sichert.

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