© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/12 19. Oktober 2012

Rauschgiftwelle erreicht den Bundestag
Kriminalität: Angesichts der Flut synthetischer Drogen aus Tschechien drängt die SPD die Bundesregierung zum Handeln
Paul Leonhard

Einen verstärkten Kampf gegen synthetische Drogen fordert die SPD-Bundestagsfraktion von der schwarz-gelben Regierung. Die Bundesregierung verkenne die Ausmaße des Drogenhandels zwischen Deutschland und seinen Nachbarstaaten sowie die Entwicklung bezüglich neuer Substanzen und Rauschgifte, heißt es in einem Antrag der Sozialdemokraten. Sorgen bereiten den Genossen vor allem die kristalline Methamphetamine, kurz Crystal genannt. Denn deren Suchtpotential ist außerordentlich hoch. Die Designerdroge macht sehr schnell süchtig und ist zerstörerischer als Heroin.

Die Geschwindigkeit und die zum Teil großen Mengen, in denen die gefährliche Droge auf den Markt gebracht werde, seien erschreckend, sagt die Drogenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, Angelika Graf. Das Suchtpotential von Crystal sei gefährlich hoch. Hergestellt wird es vor allem in illegalen Laboren in Tschechien. Drogenumschlagplätze sind die zahlreichen vietnamesischen Märkte in der Grenzregion. Erst Mitte September hat der oberste Gerichtshof in Olmütz die Haftstrafen gegen sechs Männer und eine Frau vietnamesischer Herkunft bestätigt, die mit Rauschgift gehandelt hatten.

In Deutschland sind vor allem Bayern, Thüringen und Sachsen betroffen (JF /12). Die Landeskriminalämter dieser drei Länder melden seit einigen Jahren besorgniserregende Steigerungen, die sich auch im Drogenbericht der Bundesregierung 2012 widerspiegeln: Allein die gemeldeten Fälle sind um 163,4 Prozent gestiegen. „Man muß davon ausgehen, daß die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher liegt“, sagt Graf. Nahm die deutsche Polizei 2010 im deutsch-tschechischen Grenzgebiet 183 Personen wegen illegalen Drogenbesitzes fest, so waren es im vergangenen Jahr bereits 553. Tendenz steigend. Offenbar kommen auch immer mehr Schüler in den Grenzbezirken auf den Schulhöfen mit der synthetischen Droge in Berührung. Die Schilderungen in den betroffenen Bezirken und Wahlkreisen würden immer drastischer, weiß die Rosenheimer SPD-Bundestagsabgeordnete. Nötig sei eine Prävention in Schulen, Diskotheken und Internet.

Schuld an der Ausbreitung der Droge ist aus Sicht der SPD die Liberalisierung des tschechischen Rauschgiftgesetzes vor zwei Jahren. Dieses wertet den Besitz von bis zu zwei Gramm Crystal lediglich als Ordnungswidrigkeit. Zuvor hatte bereits der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) die liberale Drogenpolitik als Hauptursache für den grenzüberschreitenden Handel mit illegalen Drogen bezeichnet. Bayern sei gegen die Drogenflut aus Böhmen machtlos, sagte er der Welt. Auf eine bessere Zusammenarbeit mit polnischen und tschechischen Sicherheitsbehörden beim Kampf gegen die international agierenden Drogenhersteller hofft Sachsens Innenminister Markus Ulbig. Vor allem aber wünscht sich der Christdemokrat, der Oberbürgermeister der nahe der tschechischen Grenze gelegenen Stadt Pirna war, „mehr Engagement“ auf tschechischer Seite.

Anderer Meinung ist Hartmut Koschyk, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. „Die tschechische Drogengesetzgebung geht stringent gegen den Besitz und Handel einer solch gefährlichen Droge wie Crystal Speed vor“, wird der CSU-Politiker nach einem Gespräch mit dem tschechischen Finanzminister Kalousek auf der Internetseite von „Radio Prag“ zitiert. Tschechiens Politiker verweisen auf Polen. Nachdem man erfolgreich Maßnahmen gegen die Verbreitung des Grundstoffes für die Pervitinherstellung getroffen habe, seien die Hersteller auf die illegale Einfuhr chemischer Stoffe aus Polen umgestiegen, sagt der Antidrogenkoordinator Jindrich Voboril. „Wir haben ein Problem, von dem Deutschland und Tschechien momentan am stärksten betroffen sind, aber das sich ausweiten wird und das man sehr bald auf die europäische Ebene heben muß“, weiß Koschyk. Das Handeln überläßt er aber der SPD. Diese fordert in ihrem Antrag eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit den Nachbarländern und eine abgestimmte Strategie in Europa. Mit Workshops und Aufklärungskampagnen, wie sie die Regierung verschlägt, könnten die Trenddrogen nicht bekämpft werden. Keinesfalls dürften Bundespolizisten aus der Grenzregion abgezogen werden.

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