© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/12 19. Oktober 2012

Streit um Köpfe, statt um Inhalte
Piraten: Die Krise der Partei spitzt sich weiter zu
Christian Schreiber

Es ist gerade einmal ein halbes Jahr her, da schienen für die Piratenpartei die Bäume noch in den Himmel zu wachsen. Landtagseinzüge in Nordrhein-Westfalen, in Schleswig-Holstein sowie ein halbes Jahr zuvor der Paukenschlag in Berlin. Zwischenzeitlich lag die junge Partei in Umfragen näher an der Zehn- als an der Fünfprozenthürde. Der anvisierte Einzug in den Bundestag 2013 schien ausgemachte Sache. Mittlerweile ist Ernüchterung eingekehrt, und der ARD-Deutschlandtrend offenbarte in der vergangenen Woche das, was viele Beobachter bereits ahnten.

Der Höhenflug ist vorbei, erstmals seit Monaten lag die Partei auf Bundesebene unterhalb der Fünfprozenthürde. Die junge, politunerfahrene Truppe sucht verzweifelt nach Profil und droht sich in internen Grabenkämpfen aufzureiben. Viele Funktionäre schmissen frustriert hin, bundesweit gibt es kaum bekannte Führungspersönlichkeiten. Vor wenigen Tagen forderte der Berliner Fraktionsvorstand Christopher Lauer seine Parteifreunde auf, sich auf Inhalte zu besinnen, frei nach dem Motto „Themen statt Köpfe“, das sich die Polit-Newcomer einst gaben. Diese Themen sind Lauer zufolge: ein bedingungsloses Grundeinkommen, freier Zugang zu Bildung, Entkriminalisierung von Drogen, mehr Mitbestimmung und direkte Demokratie. Doch bei den Piraten geht es groteskerweise fast nur noch um Köpfe und nicht mehr um Themen.

Und ihre Führungscrew wirkt mehr und mehr dünnhäutig. Lauer verließ kürzlich eine Podiumsdiskussion in Berlin schon nach wenigen Minuten, weil er sich von den Attacken eines SPD-Kollegen im Berliner Abgeordnetenhaus verunglimpft fühlte, der ihm und seinen Mitpiraten parlamentarische Untätigkeit und chronische Selbstbezogenheit vorgeworfen hatte. Da habe er an einem Sonntag Besseres zu tun, erklärte Lauer seinen Abgang. „Besseres, als in der Öffentlichkeit Rede und Antwort zu stehen, wie er und seine Parlamentskollegen mit vom Wähler verliehenen Mandaten umgehen?“ fragte die Welt süffisant.

In Berlin gelang den Piraten der Durchbruch, in Berlin begann auch ihr Absturz. Die Fraktion im Abgeordnetenhaus ist konfus, die Landespartei hat mittlerweile drei Vorsitzende verschlissen. Bundesweit sieht es nicht viel besser aus: „Der Außeneindruck der Piratenpartei ist derzeit äußerst unbefriedigend. Aktuell fehlen wohl eher Disziplin und Qualität. Die Misere im Vorstand muß sich die Parteibasis größtenteils selbst zuschreiben, weil bei der Vorstandswahl nicht genug auf Handlungsfähigkeit, sondern eher auf Einzelvorlieben geachtet wurde“, erklärt der ehemalige Parteivorsitzende Jens Seipenbusch. Der 44jährige verkörpert das Dilemma der Partei. Im Jahreswechsel werden Vorstände gewählt, nicht selten ausgetauscht. Auf Seipenbusch folgte Sebastian Nerz, der eine Zeitlang durch die Talkshows tingelte und gerade zu dem Zeitpunkt, als er einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, wieder abgewählt wurde. Jetzt ist er Stellvertreter, sein neuer Chef Bernd Schlömer ist Beamter im Verteidigungsministerium. Ihn kennt niemand. Gerade das fanden Basis und Sympathisanten am Anfang „cool“. Die Piraten lockten Menschen an, die von etablierter Politik enttäuscht waren. Und sie lockten Wähler an, weil sie anders waren. Mehr Inhalte, weniger Köpfe.

Doch das Volk neigt gerade bei wichtigen Wahlen dazu, Persönlichkeiten zu wählen. Das ist das Problem der Piraten. Sie haben keine. Und mit Themen können sie auch nicht punkten. Ihr Ruf nach Transparenz und direkter Demokratie verhallt ungehört. Selbst wenn es um die Offenlegung der Nebentätigkeiten des SPD-Spitzenkandidaten Peer Steinbrück geht, bleiben die Piraten stumm. „Die Partei ist zuviel mit sich selbst beschäftigt“, sagt Seipenbusch. „Die Piraten spielen die Flaute herunter, aber nun wird ihnen bewußt, daß der Wähler doch wählerisch ist. Bei der Bundestagswahl wird es um die große Politik gehen, um Euro-Krise, Rentensystem und Auslandseinsätze. Dann wollen die Wähler genau wissen, was sie für ihre Stimme bekommen. Und dann wirkt eine Partei, die auf die politischen Fragen mit ‘Keine Ahnung’ antwortet, nicht mehr erfrischend ehrlich, sondern orientierungslos“, analysiert die Zeit.

Gleiches gilt auch für den innerparteilichen Umgang: „Shitstorm“ nennen es die Piraten, wenn jemand öffentlich angegangen wird. Zuerst benutzten sie das Wort mit Humor, mittlerweile ist ihnen das Lachen vergangen. Denn wenn Piraten streiten, dann vor allem öffentlich. Die Beleidungsorgien via Facebook und Twitter haben fast schon Kultcharakter, in den vergangenen Wochen zofften sich der polarisierende Bundesgeschäftsführer Johannes Ponader und Parteivize Nerz auf übelstem Niveau. Und von Schlömer mußte sich der bekennende Hartz-IV-Empfanger Ponader den Rat geben lassen, arbeiten zu gehen.

Das sind keine guten Aussichten für das Wahljahr 2013. Zumal laut Umfragen viele Wähler mit pessimistischen Einschätzungen ins neue Jahr gehen. „Was die Piraten Transparenz nennen, ist in Wahrheit Chaos“, sagt Gerhard Anger, seit kurzem zum zweiten Mal Parteichef in Berlin. Und gepaart mit Größenwahn. Parteichef Schlömer glaubt jedenfalls nicht an ein Scheitern. „Wir wollen stärkste Oppositionspartei werden“, tönt er.

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