© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/12 12. Oktober 2012

Tatort Genf
Polit-Krimi: Die ARD schickt Fernseh-Kommissar Klaus Borowski los, um den Fall Barschel zu lösen
Ronald Gläser

Und wenn doch alles ganz anders war? Wenn Uwe Barschel von einem Killerkommando ermordet wurde, das den Auftrag hatte, es wie Selbstmord aussehen zu lassen? 1987 war das Publikum genauso empfänglich für diese These wie heute. Der Unterschied zur Gegenwart: Damals hätte es keine Tatort-Folge gegeben, die sich dem Mord an Barschel widmet. Die meinungsbildenden Medien hatten sich schnell auf die These vom Selbstmord Barschels festgelegt.

Vor 25 Jahren gab es kein Internet. Viele der Details über den bis heute rätselhaften Tod sind erst Jahre später ans Licht gekommen. Zuletzt durch Enthüllungsliteratur wie das Buch des zuständigen Staatsanwalts Heinrich Wille („Der Mord, der keiner sein durfte“).

So war es nur eine Frage der Zeit, wann sich der deutsche Film an das Thema wagt, nachdem die Barschel-Witwe 2010 in einer skurrilen RTL-Sendung mit ihrem toten Mann Kontakt aufgenommen hatte. Jetzt rollt also Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) den Fall noch einmal auf.

In erster Linie geht es um den Mord an dem Kieler Autor Dirk Sauerland. Dieser hatte eine geheime homosexuelle Beziehung mit dem Politiker Karl Martin von Treunau (Thomas Heinze), einer Mischung aus Guido Westerwelle und Ole von Beust. Doch dieser Mordfall rutscht in den Hintergrund, als Fotos auftauchen, die zeigen, daß Sauerland in Genf war, als Barschel ermordet wurde. Während Borowski erst nichts von den „ganzen Verschwörungstheorien“ hören mag, steigert sich Assistentin Sarah Brandt (hervorragend: Sibel Kekilli) in den alten Fall hinein.

Der Tatort, einer der besten Krimis seit langem, spielt mit diversen Verschwörungstheorien, auch mit den abseitigen. So taucht ein mysteriöser Professor auf, der erst Informationen liefert, dann aber plötzlich von der Bildfläche verschwindet.

Niemand weiß, was in Barschels Zimmer passiert ist. Auch die Filmemacher nicht. Der Schauspieler Axel Milberg etwa vermutete damals Mord, heute eher Selbstmord. Barschel könnte es so inszeniert haben, damit es aussieht wie Mord. Sicher ist er sich nicht. Aber deshalb ist das für ihn der Stoff, „aus dem Filme gemacht werden“.  Der frühere Leitende Polizeidirektor Winfried Tabarelli, in den neunziger Jahren Chef der polizeilichen Ermittlungsgruppe Genf, gilt als einer der letzten prominenten Vertreter der Selbstmordtheorie. Er war Berater bei den Dreharbeiten. Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT äußert er große Skepsis, was alternative Theorien angeht. Allerdings räumt er auch ein: „Alles, was Nachrichtendienste machen und tun können, das entzieht sich größtenteils unserer Kenntnis.“

Die Deutschen werden mißtrauischer gegenüber Geheimdiensten, und das Fernsehen trägt dem Rechnung. Das war auch Zeit, zwei Jahrzehnte nach der spektakulären Aufdeckung vieler MfS-Umtriebe im Westen. Zehn Jahre nach den „wasserdichten Beweisen“ für irakische Massenvernichtungswaffen. Und ganz aktuell nach dem Bekanntwerden der Geheimdienstverstrickungen in das NSU-Komplott.

Wer genau Barschel auf dem Gewissen haben könnte, bleibt unausgesprochen. Die Andeutungen ziehen sich jedoch durch das Drehbuch: Der BND konfisziert Akten des Mordopfers. Später verschwinden Dateien und Beweismaterial. Sarah Brandt schließlich liest demonstrativ das Enthüllungsbuch von Victor Ostrowski („Geheimakte Mossad“), in dem der Mord an Barschel als Aktion des israelischen Dienstes geschildert wird. Der Chefaufklärer Tabarelli hat sich diese Mühe nie gemacht. „Ich habe dieses Buch nicht gelesen. Aber die Aussagen über die Ursachen zum Todesfall Barschel sind reine Spekulation“, sagt er. Insofern sind die Fernsehkommissare 2012 weiter als die echten Ermittler damals.

Tatort: Borowski und der Freie Fall, ARD, 14. Oktober 2012, 20.15 Uhr

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