© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/12 12. Oktober 2012

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Die Verfilmung von Uwe Tellkamps „Der Turm“ hat die Aufmerksamkeit auch auf die Theaterfassung seines Romans „Der Eisvogel“ gelenkt. Regelmäßig stellen die Rezensenten einen Bezug zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ her und monieren den Mangel an moralischer Eindeutigkeit des Stücks. Das heißt aber nur, daß den Kritikern Einsicht in die entscheidende Differenz fehlt: „Der Eisvogel“ handelt von einer sehr spezifischen intellektuellen Disposition, die empfänglich für die „faschistische Kultur“ (Zeev Sternhell) macht, aber scheitert, weil es das entsprechende gesellschaftliche Klima gar nicht gibt, nicht mehr oder noch nicht. Das ist etwas grundsätzlich anderes als die ideologisch dürftigst verkleidete Form von Unterschichtenkriminalität des NSU.

„Ich denke, daß der edle Mann, der Mann, der seine Seele spürt, mehr als je die Pflicht hat, sich auf sich selbst zurückzuziehen, und, da er die übrigen nicht retten kann, an seiner Selbstverbesserung zu arbeiten. Das ist die wichtigste Aufgabe in Zeiten wie unseren. Alles was die Gesellschaft verliert, verschwindet nicht, sondern flüchtet sich in die individuelle Existenzen.“ (Arthur de Gobineau)

Versagen, strukturell: Fall A, regional, Brandenburg, Berlin, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Phase 1: Der Staat anempfiehlt und fördert die Berufstätigkeit beider Eltern; Phase 2: die können (oder wollen) sich nicht mehr um die Ernährung ihres Nachwuchses kümmern; Phase 3: der Staat richtet Ganztagsschulen samt Kantinen ein; Phase 4: der Nachwuchs verdirbt sich massenhaft den Magen; Phase 5: Der Staat fordert die Eltern zum Verfertigen von Pausenbroten auf. Fall B, lokal, Friedland in Niedersachsen, Phase 1: Der Staat läßt wahllos alle möglichen Leute ins Land; Phase 2: das wird den Autochthonen als kulturelle Bereicherung oder als humanitärer Akt verkauft; Phase 3: ein gewisses (erhebliches) Quorum der Zuwanderer ist kriminell und terrorisiert den Ort, an dem sie untergebracht sind; Phase 4: die Einheimischen beschweren sich; Phase 5: der Staat meint, sie sollten besser aufpassen.

Bildungsbericht in loser Folge XXX: die neue Debatte über die Länge der Gymnasialzeit – Rückkehr zu G9 an Stelle von G8 – läßt kaum hoffen. Man ahnt, daß bei Wiederaufnahme des alten Musters, das heißt neun Jahre bis zum Abitur, doch nur die Gelegenheit genutzt wird, die Anforderungen ein weiteres Mal zu senken. Oder wie es ein französischer Kenner der Materie sagte: Seit 1945 gibt es nur eine einzige, ununterbrochene Bildungsreform, und deren Ziel ist, den Lehrer lächerlich und das Wissen überflüssig zu machen.

Der Entlarvung des ganzen Gender-Unsinns durch den norwegischen Komiker-Soziologen Harald Eia oder vergleichbaren Aktionen, die alle sehr verdienstvoll sind, mangelt doch etwas. Man kann das an dem verzweifelten Bemühen Eias erkennen, den Ruch des „Konservativen“ oder „Rechten“ zu vermeiden, wenn er auf Natur, genetische Dispositionen und Begabung zu sprechen kommt. Denn tatsächlich müßte jede echte Analyse darauf Bezug nehmen, daß die Gehirnwäsche, der wir seit Jahrzehnten ausgesetzt sind, kein historischer Betriebsunfall ist, sondern ein linkes Projekt, und daß nur von der Gegenseite die Konsequenzen abgesehen und begriffen wurden, weshalb sie für ihre Hellsicht und ihren Mut bis heute mit Denunziation und Ausgrenzung bestraft wird.

Die Reaktionen auf die Behauptung des Neurologen Manfred Spitzer, daß uns die Entwicklung der modernen Technologien zur „digitalen Demenz“ verurteile, ähneln sehr der Art und Weise, wie in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit Neil Postmans „Wir amüsieren uns zu Tode“ umgegangen wurde: Man wußte, daß der Mann recht hatte, man wußte, daß es gerade noch Zeit war, etwas zu unternehmen, man wußte, daß das unbequem werden würde, man entschloß sich also, nichts zu tun. Vielleicht ist es an der Zeit, eine Liste folgenloser Bestseller mit zeitkritischem Inhalt zu verfassen.

Ein paar Blicke in die jetzt veröffentlichten Tagebücher Hans Werner Richters genügen. Man gewinnt keinen anderen Eindruck beim „Erfinder“ der Gruppe ’47 als vorher schon bei der Lektüre der Aufzeichnungen des Fritz J. Raddatz, langjähriger Feuilletonchef der Zeit: Es handelt sich um eine unglaubliche Bagage, der es trotz ihrer Miserabilität gelang, die kulturelle Macht an sich zu reißen und über Jahrzehnte eine Nation wie die deutsche unter ihre moralische Zensur zu stellen.

Die Morde an den beiden jungen Männern in einem „sensiblen“ Vorort von Grenoble werden in der französischen Presse als „lynchage“ bezeichnet. Tatsächlich bedeutet „Lynchen“ soviel wie Volksjustiz-Üben, und was die Sache besonders heikel macht: Hier hat sich lynchendes Volk an denen vergriffen, die abtrünnig wurden, abtrünnig durch „Integration“.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 26. Oktober in der JF-Ausgabe 44/12.

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