© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/12 12. Oktober 2012

Pankraz,
der Turm und die Würde des Buches

Die groß angekündigte TV-Verfilmung des Romans „Der Turm“ von Uwe Tellkamp war eine Verlegenheit, fast eine Pleite. Nichts kam darin rüber vom spezifischen Dresdner Odeur des Buches, das doch sein eigentliches Wesen ausmacht, die Handlung hätte genausogut in Pasewalk oder in Kyritz an der Knatter spielen können. Das Genre „Der Film zum Buch“ hat da eine ziemliche Blamage erlitten; es war nicht die erste und wird nicht die letzte gewesen sein.

Anders das Genre „Das Buch zum Film oder das Buch zu dem und dem“. Dieses blüht und gedeiht zur Zeit wie nie zuvor. Wer in der Öffentlichkeit auch immer auffällt und sich bemerkbar macht – er ist erst zufrieden, wenn sein Treiben zwischen zwei Buchdeckel geraten ist. Das Buch ist zum Endpunkt jeglicher Kommunikation geworden, sei es als Einkaufstüte, sei es als Grabplatte. Jeder moderne Kommunikationsteilnehmer, der in Talkshows brillieren oder sonstwie ernst genommen werden will, muß irgendwann ein Buch geschrieben haben (oder haben schreiben lassen). Und kein Ende des Trends ist abzusehen.

Indes, alle reden von der Krise des Buches, auch auf der gegenwärtigen Frankfurter Buchmesse geschieht das. Viele prognostizieren sogar „das nahe, unabwendbare Ende des Buches“, nur der Name werde übrigbleiben, in Form des E-Books. Immer wieder werden die Vorteile des neuen, elektronifizierten und digitalisierten, bücherlosen  Literatur- und Wissenschaftsbetriebs aufgezählt; die Reden der engagierten Buchverteidiger hingegen klingen immer leiser und kleinlauter. Was soll man davon halten?

Es erscheint hoch an der Zeit, einmal ohne Zorn und Eifer, sine ira et studio, die Vorteile und Nachteile der beiden Genres gegeneinander abzuwägen. Um zunächst vom E-Book zu sprechen: Dort können selbstverständlich unendlich viel mehr Datenmengen gespeichert und momentan  abgerufen werden als im Buch. Auch ermöglicht die Elektronik sofortige Kommunikation mit dem Autor oder anderen Lesern. Autoren beziehungsweise ihre Verleger ihrerseits erhalten die Möglichkeit, ihre „Inhalte“ um ein Vieles schneller an den Mann und an die Frau zu bringen als per Buch.

Andererseits finden sich Autoren und Verleger durch das E-Book permanent unter Druck gesetzt, und der Druck nimmt zu, je weiter die Entwicklung voranschreitet. Wozu noch Verlage, wenn literarische und wissenschaftliche Kommunikation auch ohne Satz und Druckerei entsteht? Und wozu noch Autoren, wenn originale Schöpfungen im Nu beliebig verändert, weggekürzt oder mit Shitstorm überzogen werden können und sich so über kurz oder lang in eine kollektivistische Qualle verwandeln?

Besonders die Belletristik, also die eigentliche, die „schöne“ Literatur, würde sich, wenn exklusiv nur noch das E-Book regierte, à la longue bis zur Unkenntlichkeit verändern. Individueller Formwille, persönliche Anmut, Stil und geistiger Anspruch – alles würde zur Disposition gestellt und schließlich verschwinden. Das Niveau würde auf breitester Front gesenkt – und genau das ist ja auch die Absicht mächtiger linker Kräfte.

Nicht nur der Buchhandel soll zerstört werden, sondern auch die Souveränität des Bücher schreibenden Autors. Wie liest man etwa in einem Aufsatz zur aktuellen Buchmesse in der Berliner tageszeitung (taz)? „Schon allzu detaillierte Beschreibungen im Text, die dem Leser gar keinen Raum mehr für eigene Bilder lassen, gängeln den Leser. Je mehr der Autor zufügt, desto autoritärer geht er vor: wenn er dem Leser einen Zeitplan aufdrückt, Illustrationen zufügt oder ihm per Verlinkung weiterführende Studien abverlangt.“

Fast möchte man weinen aus Mitleid für den armen Buchleser. Natürlich verlangt der Autor diesem einiges ab, schränkt seine (oftmals breitmäulig zur Schau getragene) Pop-Autonomie ein. Der Buchleser muß sich im Gegensatz zum E-Book-Leser auf fremde Eigenarten und Befindlichkeiten einlassen, ohne gleich dagegen anzunölen, er muß bei sich Lernbereitschaft aktivieren und nachdenkliche Geduld üben bei der Begegnung mit neuartigen Erfahrungen. Freilich gelten solche Einstellungen herkömmlicherweise nicht als lästige Fatalitäten, sondern als erstrangige Tugenden.

Und das wäre dann wohl auch der Hauptgrund für ein kräftiges Plädoyer für das Buch in seiner traditionellen Gestalt, wie es auf der Buchmesse tausendfach dargeboten wird. Die Hinwendung zu ihm erfordert Tugendhaftigkeit in jedem Belang, und die Beschäftigung mit ihm stärkt ihrerseits die Tugend. Keine aktuelle Deformation des Verlegergewerbes oder des Autorseins kann diese Tatsache aus der Welt schaffen, nicht die scheußlichen Werbe-Exzesse für den vielen Schrott, der da auch ausgestellt wird, und nicht der Gedanke an die vielen skrupellosen Geschäftemachereien, die auch mit dem Buchhandel verbunden sind.

Das gedruckte, sorgfältig lektorierte und von guten, leidenschaftlichen Verlegern klug vermarktete Buch ist eine kulturelle Errungenschaft allerersten Ranges. Es wird dem elektronischen Pöbel wohl nie gelingen, ihm eines Tages den Hahn abzudrehen; dafür spricht allein schon die oben erwähnte Geilheit von Machern jeglicher Art, ihr (gutes oder schlimmes) Tun eines Tages zwischen zwei Buchdeckeln zu verewigen, möglichst prächtig dekoriert und in feinster Antiqua. Es ist dies wie ein hoher Orden, den ein an sich unwilliger Souverän seinem besten Offizier verleiht, obwohl er ihn nicht leiden kann.

Uwe Tellkamps „Turm“-Roman und seine Verfilmung liefern dafür das treffende Symbol. Der Film besteht an sich nur aus geformtem Blech, aber er ist eine echte Huldigung an ein letztlich überlegenes Genre, dessen Feinheiten, Aromen, Anspielungen und Würden eben nur im Rahmen der Buchkunst und der wahrhaft freien Autorschaft zum Leuchten gebracht werden können. Lehrte doch schon der alte Cicero vor Zeiten: „Bücher (Schriftrollen) sind die wohlfeilsten Lehr- und Freudenmeister und der wahre Beistand.“ Dabei sollte es bleiben und wird es bleiben.

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