© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/12 12. Oktober 2012

Fragen über Fragen
Euro-Krise: Die Finanzierung des Rettungsschirms ESM ist unsicher / Verpflichtungsübernahme vom EFSF?
Wolfgang Philipp

Die Rettungsschirme laufen aus. Das haben wir klar vereinbart“, versprach Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble im Juli 2010 in der FAZ. Inzwischen ist klar: Das Versprechen gilt nur für die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF). Der Rettungsschirm mit dem Namen Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) zur Finanzierung nicht kreditwürdiger Euro-Länder soll dauerhaft sein. Am Montag wurde der „historische Meilenstein“, so der luxemburgische Regierungschef Jean-Claude Juncker, von den 17 Euro-Finanzministern in Luxemburg offiziell gestartet.

Wenn der Bundestag seine vom Bundesverfassungsgericht zugesicherten Mitwirkungsrechte wahrnehmen will, muß er umfassend über die Tätigkeit des ESM informiert sein. Das gilt auch für die bisher als Rettungsschirm arbeitende Vorgängergesellschaft EFSF, die bereits Irland, Portugal, Griechenland und Spanien Darlehenszusagen in Höhe von insgesamt 292 Milliarden Euro erteilt hat. Denn der ESM kann alle Rechte und Verpflichtungen der EFSF übernehmen. Er fängt nicht bei „Null“ an, sondern übernimmt ein kompliziertes Geflecht von Vermögen, Guthaben und Verpflichtungen der EFSF, über deren Bestand die Öffentlichkeit nicht unterrichtet ist. Für den ESM besteht aber auch ein eigenes Risiko: Das Stammkapital von 700 Milliarden Euro ist in „eingezahlte Anteile“ und „abrufbare Anteile“ unterteilt. Der anfängliche Gesamtnennwert der „eingezahlten“ Anteile beläuft sich auf 80 Milliarden Euro.

Hiervon sind noch dieses Jahr 40 Prozent (32 Milliarden Euro) von den 17 Zeichnerstaaten einzuzahlen. Für Deutschland sind das 8,8 Milliarden Euro. Hier stellt sich die Frage, ob alle 17 Mitgliedsstaaten diese Ersteinzahlung leisten werden. Kann man erwarten, daß auch Staaten, welche bereits Hilfen der EFSF erhalten, ihre Anteile an den ESM einzahlen werden? Stellen etwa ESM, EFSF oder andere Mitgliedsstaaten ihnen vorher das Geld zur Verfügung? Unter der Herrschaft der EFSF waren oder sind solche Staaten „Stepping-out Guarantors“, sie brauchten sich an Bürgschaften nicht zu beteiligen.

Abgesehen von diesen Problemen des ESM ist aber vor allem das „Erbe“ zu betrachten, das auf den ESM zukommt, wenn er die Rechte und Pflichten der EFSF übernimmt. Hierzu ist erforderlich, den bisher unbekannten Jahresabschluß der EFSF per 31. Dezember 2011 zu kennen. Diese ist eine Aktiengesellschaft luxemburgischen Rechts, deren Eigenkapital weniger als 30 Millionen Euro beträgt (JF 48/10). Nach ihrer Darstellung im Internet ist der größte Teil der von ihr bereits an „Stabilitätshilfen“ für Irland, Portugal, Griechenland und Spanien zugesagten 292 Milliarden Euro noch nicht refinanziert. Teilweise ist die Refinanzierung nur kurzfristig mit Laufzeiten von drei bis sechs Monaten.

Dem Internet ist aber immerhin zu entnehmen, wie die EFSF ihre Stabilitätsdarlehen refinanziert hat. Dabei ist es geradezu ein Wunder, daß die EFSF „Investoren“ gefunden hat, die ihr für ihr „Sozialhilfeprogramm“ Geld leihen, ohne ausreichend gesichert zu sein. Nicht erkennbar ist, wie lange die Darlehen an Irland, Portugal, Griechenland und Spanien laufen. Es muß sich hier um langfristige Darlehen handeln, weil sonst der Zweck, diesen Staaten zu helfen, nicht erreicht werden könnte.

Umgekehrt hat die EFSF aber offenbart, wie die „Refinanzierung“ nach Beträgen, Laufzeiten und Zinshöhe aussieht. Die Laufzeiten der von ihr aufgenommenen Darlehen bewegen sich zwischen drei Monaten und 25 Jahren. Eine 25 Jahre laufende Anleihe konnte die EFSF nur in Höhe von 1,5 Milliarden Euro verkaufen. Der Zins beträgt 3,375 Prozent. Zwei weitere Darlehen von zusammen 2,5 Milliarden Euro haben eine Laufzeit von 20 Jahren, kosten aber die EFSF jährlich Zinsen in Höhe von 3,875 Prozent.

Für weitere elf Milliarden Euro konnte die EFSF noch eine Laufzeit von zehn Jahren erreichen, bei Zinsen zwischen 2,25 Prozent und 3,375 Prozent pro Jahr. Weitere von der EFSF als „Long term“ bezeichnete Darlehen haben eine Laufzeit von einem, zwei, drei, fünf und sieben Jahren. Dabei ist die Verzinsung immer niedriger, je kürzer die Laufzeit angesetzt ist. Bei fristenkongruenter langfristiger Refinanzierung würde das EFSF-System schon zusammenbrechen, weil es für seine „Stabilitätsdarlehen“ Zinsen in einer Höhe nehmen müßte, die fast den Marktzinsen entsprechen. Kurzfristige Refinanzierung ist zinsgünstiger. Sie ist, wie die Finanzkrise ab 2007 deutlich gezeigt hat, nicht zu vertreten. Sie findet aber statt:

Am Geldmarkt hat die EFSF insgesamt rund 37,5 Milliarden Euro kurzfristig mit einer Laufzeit von drei beziehungsweise sechs Monaten aufgenommen. Ein erheblicher Teil dieser kurzfristig wieder fällig werdenden Kredite ist bereits ausgelaufen und mußte abgelöst werden: Die EFSF beschäftigt sich so mit sich selbst. Offen standen am 4. Oktober dieses Jahres noch rund 13 Milliarden Euro.

Hier werden sehr hohe Risiken eingegangen: Wenn es so ist, daß die jeweiligen „Stabilitätshilfen“ langfristig sein müssen, darf man sie nicht kurzfristig refinanzieren, ohne eine plötzliche Zahlungsunfähigkeit zu riskieren, wenn die Ablösung der fällig werdenden kurzfristigen Kredite nicht möglich ist: Niemand refinanziert ein Haus mit Drei-Monats-Wechseln. Vor diesem Hintergrund ist es möglich und nötig, dem Jahresabschluß der EFSF per 31. Dezember 2011 zu entnehmen, wie dort das Verhältnis zwischen langfristigen und kurzfristigen Krediten und Ausleihungen dargestellt ist. Des weiteren ist zu prüfen, ob nicht Abschreibungen auf Ausleihungen getätigt worden sind bzw. hätten getätigt werden müssen. Solche müßten zur sofortigen Insolvenz der EFSF führen, da sie so gut wie kein Eigenkapital hat.

Die Abgeordneten des Bundestages sind aufzufordern, der Regierung diese Fragen zu stellen und die Öffentlichkeit aufzuklären.

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