© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/12 12. Oktober 2012

Helmut Roewer wehrt sich
Erinnerungen: Der ehemalige Chef des Thüringer Verfassungsschutzes weist den Vorwurf zurück, er habe die Zwickauer Terrorzelle entkommen lassen
Felix Krautkrämer

Helmut Roewer ist es leid, den Sündenbock zu spielen. Seit Monaten wird der ehemalige Chef des Thüringer Verfassungsschutzes (1994–2000) in den Medien als Prototyp des geheimdienstlichen Versagers im Fall der sogenannten Zwickauer Terrorzelle präsentiert. Ein extrovertierter Selbstdarsteller, der durch Inkompetenz und Eitelkeit das Untertauchen der drei mutmaßlichen Täter begünstigt, wenn nicht gar verschuldet und somit die Mordserie letztlich erst ermöglicht habe, so die Vorwürfe.

Roewer hat sich die Darstellung seiner Person einige Zeit gefallen lassen. Er hat versucht, im Untersuchungsausschuß des Thüringer Landtags seine Sicht der Dinge zu schildern – mehr oder weniger erfolglos. Nun hat er seine Erinnerungen zu Papier gebracht und ist sicher: Hätte man im Jahr 2000 auf ihn gehört, würde Deutschland heute nicht darüber diskutieren, wie die Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe zur Last gelegten Morde hätten verhindert werden können.

Roewer plädierte damals für ein Verbot des Thüringer Heimatschutzes – jener Gruppierung, der auch die drei Bombenbauer aus Jena angehörten. Zudem sprach sich der Verfassungsschutzchef dafür aus, die Familien des Trios zu überwachen. Roewer erhoffte sich davon, „die Kommunikationsstrukturen und die Finanzierung des Mobs“ zu treffen und herauszufinden, wie die Verbindungen der Untergetauchten nach Thüringen funktionierten. Doch der damalige Innenminister Christian Köckert (CDU) habe sich nicht für die Vorschläge interessiert. Statt dessen wurde Roewer wenige Monate später suspendiert, nachdem bekanntgeworden war, daß der Rechtsextremist Thomas Dienel für seine Behörde als Spitzel gearbeitet hatte.

Bei der Vorstellung seines Buchs „Nur für den Dienstgebrauch“ am Donnerstag vergangener Woche in Berlin verteidigte Roewer den Einsatz von V-Leuten dennoch. Solchen Quellen sei es zu verdanken gewesen, daß er 1998 von den Bombenplänen Böhnhardts und Mundlos’ erfahren habe. Bei Roewer läuteten die Alarmglocken, doch die Polizei versäumte es, die beiden festzunehmen. Auch deswegen kann es der frühere Panzeroffizier nicht nachvollziehen, daß er nun für das Untertauchen der Zwickauer Terrorzelle verantwortlich gemacht werden soll.

Wer sich mit dem sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ beschäftigt, wird in Roewers Buch nichts wirklich Neues finden. Nur zwei der 42 Kapitel widmet er dem Trio. Dafür berichtet der parteilose Ex-Verfassungsschützer durchaus unterhaltsam, wie versucht wurde, ihn und sein Amt für parteipolitische Zwecke zu mißbrauchen – und läßt dabei kein gutes Haar an der von der CDU dominierten Thüringer Landespolitik. In zynischem Ton schildert er, wie Innenminister Köckert im Jahr 2000 versuchte, den Verfassungsschutz im Kommunalwahlkampf gegen CDU-Herausforderer zu instrumentalisieren und wie erfahrene Polizeiführer vom einen auf den anderen Tag ersetzt wurden – durch Inhaber des „richtigen“ Parteibuchs. Alte Stasi-Seilschaften und „korrupte politische Strukturen“ hätten unter der „Einparteienherrschaft“ Politik, Verwaltung, Justiz und Presse in Thüringen „wie Metastasen eines Krebsgeschwürs“ durchzogen. Roewer zeigt, wie problematisch es sein kann, wenn die Sicherheitsbehörden einem Dienstherrn unterstellt sind, für den nicht nur die Sicherheit des Landes, sondern auch das Wohlergehen der eigenen Partei im Vordergrund steht.

Aufgelockert wird seine Darstellung durch eine Vielzahl an Anekdoten aus seiner langjährigen Dienstzeit als Beamter im Bundesinnenministerium und Verfassungsschutzpräsident. 1988, so berichtet Roewer, habe der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) seinen Sicherheitsabteilungsleiter Gerhard Heuer nach den Gründen für das Erstarken der Republikaner gefragt. Es gebe zwei Antworten, entgegnete Heuer. Die offizielle finde sich im Verfassungsschutzbericht, die richtige aber laute: Blüm, Süssmuth, Geißler. „Schäuble verzog das Gesicht, die Hofschranzen erstarrten. Mir wurde klar: Humor ist dessen starke Seite nicht.“

Viele Freunde in der CDU hatte Roewer seit seiner Versetzung in den einstweiligen Ruhestand ohnehin nicht mehr. Mit seinem Buch dürfte er kaum neue dazugewinnen.

Helmut Roewer: Nur für den Dienstgebrauch. Als Verfassungsschutz-Chef im Osten Deutschlands, Ares Verlag, Graz 2012, gebunden, 270 Seiten, 24,90 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen