© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/12 05. Oktober 2012

Nicht kreditwürdig
Euro-Krise: Der Rettungsfonds ESM ist eine Gesellschaft mit unbeschränkter Nichthaftung
Wolfgang Philipp

Vorige Woche hat Bundespräsident Joachim Gauck die Urkunde zur Ratifizierung des Euro-Rettungsschirms ESM unterzeichnet. Zuvor hatten die anderen 16 ESM-Vertragsstaaten die Vorbehalte des deutschen Bundesverfassungsgerichts (JF 38/12) in einer „Auslegungserklärung“ akzeptiert. Damit sei der Vertrag nun in Kraft, jubelte der Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker. Der ESM sei „eine historische Errungenschaft für die europäische Integration“, so der luxemburgische Ministerpräsident.

Doch ist die weltweit größte Finanz­institution überhaupt kreditwürdig? Bei näherer Betrachtung kommen begründete Zweifel auf. Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) ist eine rechtlich selbständige internationale Institution. Sein Stammkapital beträgt 700 Milliarden Euro. Dieses Geld wird sukzessive eingezahlt. Zum Vermögen des ESM gehört nicht nur der jeweils eingezahlte Betrag, sondern auch die aus der Zeichnung der Mitgliedsstaaten resultierende Forderung auf die Restzahlung. Dieses hohe Kapital soll als „Sicherheit“ für die Gläubiger des ESM dienen. Denn nach Artikel 8 Absatz 5 des ESM-Vertrages (ESMV) haften die Mitgliedsstaaten – anders als bei dem Vorgänger EFSF – nicht für die Verpflichtungen des ESM. Die Schuld der Mitgliedsstaaten aus der Zeichnung des Kapitals besteht nur im Innenverhältnis zu dem ESM, jeweils in Höhe der gezeichneten Quote. Diese beträgt für Deutschland rund 190 Milliarden Euro.

Die Aufgabe des ESM besteht unter anderem darin, schwachen Staaten der Euro-Gruppe „Stabilitätshilfe“ zu gewähren. Das kann nach Artikel 12 bis 19 ESMV geschehen, insbesondere durch Darlehensvergabe. Diese Aufgabe kann gewaltige Mittel erfordern, die sich der ESM nach Artikel 21 ESMV als Fremdmittel durch Darlehensaufnahme an den Kapitalmärkten bei Banken, Finanzinstitutionen oder sonstigen Personen und Institutionen besorgen muß. Sein Eigenkapital ist hierfür nicht vorgesehen. Gegenwärtig ist das Volumen solcher Kreditaufnahmen auf 500 Milliarden Euro begrenzt. Der ESM hofft, durch das Verhältnis zwischen Stammkapital (700 Milliarden Euro) und Darlehensaufnahme (500 Milliarden Euro) ein gutes Rating zu erhalten. Das Ganze hat aber einen Haken: Ganz abgesehen davon, daß schon die Erfüllung übernommener Einzahlungspflichten auf das Stammkapital nicht sicher ist (der finanzielle Zustand der ESM-Mitglieder Griechenland, Irland, Italien, Portugal, Slowenien, Spanien und Zypern spricht dagegen), kann für Banker oder sonstige Kreditgeber die Ausleihung von Geld an den ESM nicht in Betracht kommen:

1. Wie Artikel 9 ESMV zeigt, rechnet der ESM selbst damit, daß er Verluste erleidet und eine Bedrohung seiner Zahlungsfähigkeit eintreten kann. Der Gouverneursrat, das Direktorium oder der Geschäftsführende Direktor des ESM können versuchen, durch Kapitalabrufe bei den Mitgliedsstaaten das finanzielle Gleichgewicht wiederherzustellen. Diese Abläufe müssen aber erst einmal gelingen. Schließlich sind die „Gouverneure“ des ESM gleichzeitig die Finanzminister ihrer Heimatstaaten, vertreten gleichzeitig den Schuldner und den Gläubiger. Sie müssen das Geld „bei sich selbst“ abrufen, obwohl vielleicht die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen, etwa weil zuerst ein Nachtragshaushalt verabschiedet werden muß.

2. Gläubiger des ESM sind rechtlich machtlos. Sie können den ESM nicht zwingen, zur Erhaltung seiner Zahlungsfähigkeit bei den Mitgliedsstaaten noch offenstehende Einzahlungen abzurufen. Eine unmittelbare Haftung der Mitgliedsstaaten gibt es, wie dargestellt, nicht. Die Rechtslage ist aber noch schlimmer: Offenbar hat niemand bedacht, daß die Gläubiger im Ernstfall nicht einmal rechtlich die Möglichkeit haben, ihre Forderung gegenüber dem ESM durchzusetzen. Denn der ESM kann, anders als sogar jeder Staat, nicht verklagt werden: Nach Artikel 32 ESMV genießen der ESM, sein Eigentum und seine Mittelausstattung und Vermögenswerte Immunität bei gerichtlichen Verfahren jeder Art, sofern der ESM darauf nicht verzichtet. Auch besteht Schutz aller seiner Vermögenswerte vor Durchsuchung, Beschlagnahme, Einziehung und jeder sonstigen Form des Zugriffs durch vollziehende, gerichtliche, administrative oder gesetzgeberische Maßnahmen. Hier ist ein Verzicht nicht vorgesehen.

Die Gläubiger des ESM können diesen grundsätzlich weder verklagen, noch haben sie (etwa durch Pfändung) Zugriff auf seine Vermögenswerte. Der ESM schuldet zwar seinen Gläubigern die Rückzahlung von Darlehen, sein Vermögen haftet aber nicht dafür. Er ist eine Gesellschaft mit unbeschränkter Nichthaftung und damit für jeden Rechtsverkehr ungeeignet. Ob er seine Schulden zurückzahlt, steht in seinem Belieben. Bei dieser Rechtslage ist es unvertretbar, dem ESM Kredit zu gewähren. Auch keine Aufsichtsbehörde (etwa die BaFin) kann das zulassen.

3. Diese Rechtslage gilt auch für Kredite der Europäischen Zentralbank (EZB) an den ESM, die nach Artikel 18 ihrer Satzung ohnehin Sicherheiten verlangen muß. Damit entfällt die vieldiskutierte Möglichkeit des ESM, bei der EZB Kredite aufzunehmen. Wenn die EZB dem ESM trotzdem Mittel zur Verfügung stellen sollte, kann dies als Pflichtverletzung ihrer Funktionäre auch im strafrechtlichen Sinne (Untreue) gewertet werden. Nach Artikel 35 der EZB-Satzung entscheiden zwar über Rechtsstreitigkeiten die zuständigen Gerichte der einzelnen Staaten. Diese Bestimmung kann aber im Verhältnis zum ESM nicht gelten, da dieser gar keiner Gerichtsbarkeit unterliegt und sein Vermögen für seine Gläubiger unantastbar ist.

Wer dem ESM Kredit gibt, gerät in eine Position, die etwa Paragraph 762 BGB entspricht: Durch Spiel oder Wette wird eine Verbindlichkeit nicht begründet. Kredite an den ESM sind – Vertrauen hin, Vertrauen her – rechtlich wie Spielschulden, Europa wird zum Spiel-Kasino.

 

Dauerhafter Rettungsschirm ESM

Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) soll den bisherigen Euro-Rettungsfonds EFSF (JF 17/12) ablösen, der bislang überschuldete Euro-Länder finanziert hat. Das Gründungstreffen für den ESM-Gouverneursrat soll am 8. Oktober in Luxemburg stattfinden. Im „Eckdatenpapier für die Begebung von Anleihen“ (Anlage 18 zur BMF-Vorlage Nr. 134/2012) sind im Passus „Anwendbares Recht und Gerichtsstand“ erste Details zur Kreditaufnahme des ESM zu finden. Danach verzichtet der ESM – aber nur im Falle von Schuldverschreibungen, nicht für andere Kreditaufnahmen – zwar auf Immunitätsrechte in Verbindung mit dem Verfahren zur Durchsetzung der Bedingungen der Schuldverschreibung, die von dem Vertreter der Schuldverschreibungsinhaber in deren Namen bei Gerichten im Großherzogtum Luxemburg eingeleitet werden. Damit ist aber nicht die gesamte Kreditaufnahmemöglichkeit des ESM ausgeschöpft. Außerdem gibt es keine Verzichtserklärung für die Vollstreckung, eine solche ist in Artikel 32 Absatz 4 des ESM-Vertrages (anders als in Absatz 3) auch nicht vorgesehen.

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