© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/12 05. Oktober 2012

Der drittgrößte Versandhändler in Deutschland wird abgewickelt
Neckermann machte’s möglich
Michael Manns

Er ritt für Deutschland, holte sechs Olympiamedaillen, er demokratisierte den Wohlstand und war ein Symbol der Wirtschaftswunderjahre: Josef Neckermann. In diesem Jahr wäre er hundert geworden – und jetzt ist sein gleichnamiges Versandunternehmen am Ende: abgewirtschaftet, abgewickelt. 1948 gegründet, erlebte es in den fünfziger Jahren einen rasanten Aufstieg. Nach Krieg und Wiederaufbau wollten die Deutschen endlich wieder konsumieren: Kleider und Schuhe, Kaffeemaschinen, Spielzeug – schließlich sogar Fertighäuser.

Überall lieferte der Frankfurter Versandhändler hin, vor allem auch in die Provinz, wo es keine großen Kaufhäuser gab. Es entsprach der Devise von Ludwig Erhard: Wohlstand für alle. „Neckermann macht’s möglich“, das war der geniale Werbeslogan. Die Versandkataloge wurden immer opulenter und erreichten schwindelerregende Auflagen in Millionenhöhe. Sie paßten nicht mehr in die Briefkästen. Das Unternehmen bekam schon 1956 ein Flaggschiff an der Frankfurter Zeil errichtet. Der Autor – er war damals ein kleiner Junge – erinnert sich, wie im Restaurant die Gäste mit Musik (Geiger, Klavierspieler) unterhalten wurden – zu Frankfurter Würstchen mit Kartoffelsalat. Neckermann, der passionierte Dressurreiter, baute das Unternehmen zum Großkonzern aus, mit Warenhauskette und „Urlaubsreisen für jedermann“.

Risse zeigten sich früh, die Devise „Großer Umsatz, kleiner Gewinn“ rächte sich in der Ölkrise 1973. Neckermann mußte schließlich 1976/77 an Karstadt verkaufen. Der Patriarch zog sich ein Jahr später zurück. Verirrungen kamen hinzu: 2005 der String-Tanga-Skandal. Der Katalog präsentierte Tangas für drei- bis vierjährige Mädchen. Ein Leckerbissen für Pädophile. Nach wütenden Anrufen besorgter Mütter und Protesten mußte das Unternehmen sie wieder aus dem Sortiment nehmen. Schließlich wurde das Internet-Zeitalter verschlafen. Jetzt ist alles vorbei. Amazon, Otto und andere haben Neckermann aus dem Markt geklickt.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen