© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/12 05. Oktober 2012

„Man schätzt und respektiert uns“
Besuch des Deutschen Hauses in Tschernowitz: Lebhaftes Kulturleben in einem vergessenen Teil Europas
Lubomir Winnik

Verwinkelte Gassen, zum Teil verwahrlost und schmutzig, machen auf den Besucher, den es zum erstenmal hierher verschlagen hat, einen etwas chaotischen Eindruck. Doch je näher man dem Stadtzentrum kommt, ein anderes Bild – stilvolle Häuser, Villen und Paläste. Im Herzen der Stadt, auf einer weiten, üppigen Promenade, fallen dunkle Schriftzüge ins Auge, eingelassen in die Steinplatten des Pflasters: Tscherniwzi (ukrainisch), Czerniowce (polnisch), Tschiernowzy (russisch) und Tschernowitz.

An der Kobylanska-Promenade 53 ragt dann ein eindrucksvolles Gebäude in den Himmel. An seiner Fassade, gleich neben dem Eingang, verkündet eine Granittafel kurz und verständlich, worum es hier geht – dies ist das Deutsche Haus.

Paul Piwtorak, Vize-Vorsitzender des Österreichisch-Deutschen Kulturvereins in Tschernowitz, sitzt im großen Konzertsaal. Ein imposanter, etwa anderthalb Meter großer Adler schmückt die Wand. Über der Bühne drei Fahnen – die Deutsche, die der Europäischen Union und die Österreichs.

Herr Piwtorak, ein imposantes Deutsches Haus in der Bukowina. Gibt es Probleme?

Piwtorak: Seit der Unabhängigkeit der Ukraine hat sich vieles geändert. Wir genießen hohes Ansehen, man schätzt und respektiert uns. Kommen ausländische Gäste, verweisen die Behörden der Stadt mit Stolz auf unser Haus.

Also alles in bester Ordnung?

Piwtorak: Die Symbole, Fahnen und Trachten, die hier präsentiert werden, sind in der Ukraine nicht verboten. Bei unseren Festen und Veranstaltungen tragen wir sie offen, die Menschen kommen zu uns, und niemand hat mehr Angst zu sagen: „Ich bin Deutscher“. Freilich, das Leiden der deutschen Bevölkerung während der Sowjetbesatzung, die Deportationen und Vertreibungen wurden in der Ukraine bis dato nicht bedauert, und die Deutschen als Volk nicht rehabilitiert. Andererseits aber genießen wir hier in Tschernowiz eine sehr freundliche Minderheitenpolitik der Behörden, unabhängig davon, welche politische Gruppierung gerade an der Macht ist. Unsere vielen Aktivitäten werden von den Behörden immer unterstützt, selbst den Erhalt, die Sanierung und die Betreibung des Deutschen Hauses finanziert die Stadt. Das wissen wir zu schätzen.

Hieß das Gebäude von Anfang an Deutsches Haus?

Piwtorak: Die Einwanderung der Deutschen in die Bukownina hat eine lange Geschichte. In den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts kamen die ersten schwäbischen Bauern. Anfang des 19. Jahrhunderts erfolgte die zweite Welle der deutschen Einwanderung aus Böhmen. 1869 belief sich die deutsche Bevölkerung der Bukowina bereits auf 533.964 Menschen. Es entstanden zahlreiche deutsche Siedlungen, und im Laufe der Zeit deutsche Firmen, Manufakturen, landwirtschaftliche Betriebe. Das Jahr 1897 wurde als das Jahr des „großen Erwachens“ der Bukowina-Deutschen datiert. Man beschloß, Spenden zu sammeln und ein geeignetes Haus für die wachsenden Bedürfnisse zu bauen. Am 5. Juni 1910 wurde das Deutsche Haus dann unter großer Anteilnahme feierlich eröffnet.

Was passierte mit dem Haus nachdem die Stadt ab 1944 von den Sowjets verwaltet wurde?

Piwtorak: Das Haus wurde beschlagnahmt und zweckentfremdet. Wohnungen, Büros und ähnliches wurden eingerichtet. Nach dem Zerfall der UdSSR bekamen wir das Objekt zurück. Nun führen wir hier ein lebhaftes Kulturleben. Wir empfangen oft die Deutschen aus Rumänien, denen das Reisen aufgrund EU-Mitgliedschaft Rumäniens – Stichwort: Visafreiheit – leichter fällt als uns. Zudem pflegen wir enge Beziehungen mit Kärnten. In Richtung Deutschland sind sie noch ausbaufähig. Es gibt eine jugendliche Theater-Gruppe – notabene die beste in der Ukraine –, wir begehen hier deutsche Feste, haben Trachtengruppen: Zudem versammeln sich auch Kinder im Alter von drei bis dreizehn Jahren. Es wird mit viel Freude gemalt, gespielt und gelesen.

Wie viele Kinder besuchen die Veranstaltungen?

Piwtorak: Gegenwärtig sind es bis 20.

Gibt es in der Ukraine ähnliche Vereine die sich der Traditionspflege widmen?

Piwtorak: Wir sind der einzige Verein dieser Art in der Ukraine. Und obwohl wir in einem der kleinsten administrativen Gebiete des Landes leben, ist unsere Gruppe durchaus nicht klein, sie zählt 250 Vereinsmitglieder. Viele von ihnen sprechen Deutsch, es sind aber auch solche dabei, die des Deutschen nicht mächtig sind. Die älteren Mitglieder sprechen Deutsch, die in mittlerem Alter – kaum. Erfreulich ist, daß in der heranwachsenden Generation eine wahre Sprach-Renaissance zu verzeichnen ist, sie beginnt wieder Deutsch zu sprechen.

Wie viele Deutsche gibt es überhaupt noch in der Ukraine?

Piwtorak: Ich denke über 30.000, die größte Zahl lebt in den östlichen Regionen des Landes.

Was planen Sie für die Zukunft?

Piwtorak: Als Kulturverein werden wir auch in Zukunft deutsche Kultur, Sitten und Gebräuche pflegen und diese nach Kräften – unsere Mitarbeiter arbeiten ehrenamtlich – fördern und verbreiten. Als nächstes werden wir bereits Ende Oktober oder im November das zweite Festival des Deutschen Liedes durchführen, an dem die Singgruppen aus den Deutschen Vereinen anderer Städte der Ukraine sowie aus Rumänien teilnehmen werden.

Das Cafè im Erdgeschoß heißt „Karintia“ was bedeudet dies?

Piwtorak: Tschernowitz hat eine Städtepartnerschaft mit Klagenfurt. Entsprechend gibt es in Kärntens Hauptstadt ein Lokal namens Tschernowitz und bei uns eines mit dem Namen Kärnten.

www.bukowinafreunde.de

 

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