© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/12 28. September 2012

Unter Glaubenskriegern
Neue Studie zum Klimawandel offenbart Grauzone zwischen Forschung und Ideologie
Christoph Keller

Der Spiegel war als einer der ersten am Ball und berichtete am 9. September über eine Klima-Studie der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften (Acatec). Doch unterschätzten die Hamburger die Brisanz des Papiers und reduzierten es auf die vermeintliche Kernaussage, der zufolge der Klimawandel Deutschland kaum berühren werde. Auch Regionalblätter wie die Stuttgarter Zeitung wollten vor allem das Positive sehen und akzentuierten die „Chancen“, die sich aus rechtzeitiger Anpassung an den Klimawandel gerade im mediterraner werdenden deutschen Südwesten ergeben könnten, etwa geringere Heizkosten oder die Landwirte erfreuende längere Wachstumsperioden. Ulli Kulke hingegen, einstiger taz-Redakteur, der seit 2001 für Springer-Blätter schreibt, wertete am nächsten Tag die Acatec-Resultate schon prononcierter als Schlag gegen die „Klima-Alarmisten“ und ihren „Klima-Katastrophismus“.

Woran seine Stuttgarter Kollegen sofort anschlossen, um am 11. September den weiteren politischen Kontext der 38 Seiten zu beleuchten, an denen eine 43köpfige Projektgruppe unter der Leitung des Potsdamer Geowissenschaftlers Reinhard Hüttl ein Jahr lang gearbeitet hatte. Nunmehr wurde erkennbar, was die von naturwissenschaftlichen Experten dominierte Klimadebatte zumindest auch ist: ein ideologisch aufgeladener Glaubenskrieg.

Der die Acatec-Gruppe nicht verschont hatte, da vier renommierte Wissenschaftler, der Küstenschutzexperte Hans von Storch (Helmholtz-Zentrum Geesthacht), Paul Becker, der Vizepräsident des Deutschen Wetterdienstes, Wolfgang Cramer vom gewöhnlich kassandrisch temperierten Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung sowie Jürgen Schmid vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik, unter Protest „ausgestiegen“ waren und sich von der angeblich die CO2-Treibhauseffekte „verharmlosenden“ Botschaft der Studie distanzierten.

Kulke wiederum führte in der Welt vom 17. September diesen „fundamentalen Dissens“ auf die ursprüngliche Zielrichtung der Acatec-Klimaanpassungsstudie zurück, die Altkanzler und Acatec-Mitglied Helmut Schmidt vorgab, der die fehlerbehaften Prognosen des Weltklimarats (IPCC) kritisch überprüft wissen wollte.

Offenbar ganz in Schmidts Sinne provozierte der frühere RWE-Vorstand Fritz Vahrenholt (SPD), der sein Alternativmodell zur Erklärung des Klimawandels im Februar 2012 veröffentlichte („Die kalte Sonne“, JF 8/12), die IPCC-konforme Mehrheit so unerträglich, daß die Dissenter um von Storch, der Klimaphänomene für physikalisch „ausgeforscht“ hält, schon im April von Hüttl eine „Neutralisierung“ derjenigen „klimaleugnerischen“ Passagen verlangten, die dem heute an der Spitze der Deutschen Wildtierstiftung stehenden Ex-Manager am weitesten entgegenkamen.

Diese Intervention verhinderte zwar nicht die Trennung von der Storch-Fraktion, doch die ursprünglich kritischere Version schlage sich, so Kulke, nur noch im laschen Zugeständnis nieder, der Klimawandel lasse sich nicht zweifelsfrei als allein von Menschen induziert begreifen, sondern ebenso könnten „die Sonne, der Vulkanismus oder die Landnutzungsänderungen“ dies in den letzten 200 Jahren bewirkt haben. Die Bundesregierung witterte aber selbst in dieser Formulierung noch zuviel Skepsis. Kulka verweist daher auf eine Demarche des Kanzleramts, die für September angekündigte Präsentation der Acatec-Studie auf Ende Oktober zu verschieben, weil eine wissenschaftliche Entwarnung von der Klimafront Akzeptanzprobleme aufwerfe, wenn Anfang Oktober der Verbraucher mit saftigen Strompreiserhöhungen (sogenannte EEG-Umlage) konfrontiert werde, die aus der „grünen“ Energiepolitik der Koalition resultierten.

In Internetforen stimuliert Kulkes mit Vahrenholt sympathisierende Berichterstattung derweil hämische Kommentare zur „Klimaerwärmungslügerei“, in die das „politisch-mediale Desinformationskartell“ auch die Wissenschaft eingespannt habe. Um Schadensbegrenzung bemüht, fädelte sich daher Reinhard Hüttl im FAZ-Interview mit Joa­chim Müller-Jung (19. September) wieder in den Strom der Mehrheitsmeinung ein und erklärte sich für „absolut solidarisch“ mit dem Weltklimarat. Ob damit das Acatec-Gutachten für die Alarmisten den „Geruch der klimapolitischen Bagatellisierung“ (Müller-Jung) verliert, ist zu bezweifeln. Sicher ist nur, daß es unfreiwillig die Grauzone zwischen Ideologie, Politik und Wissenschaft erhellt hat, in der Klimaforscher operieren.

Deutsche Akademie der Technikwissenschaften: www.acatech.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen