© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/12 28. September 2012

Lockerungsübungen
Deutschland ist gefordert
Karl Heinzen

Angela Merkels Taktik, zunächst stets Bedenken gegen die diversen Instrumente zur Bewältigung der europäischen Schuldenkrise anzumelden, um diese dann doch peu à peu zuzugestehen, mag sich innenpolitisch ausgezahlt haben. Sie gilt hierzulande als Hüterin nationaler Interessen, die zwar erfolglos, aber doch beherzt versucht, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Im Ausland jedoch hat sie mit ihrem Fiskalchauvinismus und der bornierten Anmaßung, die Berliner Reformen sollten Vorbild für ganz Europa sein, Neid und Haß gegen die Bundesrepublik gezüchtet.

Es ist daher verständlich, daß nun, da das Bundesverfassungsgericht den Weg für den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) frei gemacht hat, die EU-Partner nicht mehr demütig betteln, sondern endlich unverblümte Forderungen stellen wollen. László Andor, EU-Kommissar für Soziales, hat in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen einen Anfang gemacht. Er sieht die Deutschen in zentraler Verantwortung für die Krise, da sie durch eine langjährige perfide Lohnzurückhaltung ihrer Wirtschaft einen unfairen Wettbewerbsvorteil verschafft hätten. Durch die Wirtschaftspolitik Berlins seien die Ungleichgewichte in Europa verstärkt worden. Diese Entwicklung könne nur durch deutliche Reallohnsteigerungen korrigiert werden, die die Kostenstrukturen deutscher Unternehmen verschlechtern und ihrer ausländischen Konkurrenz dadurch mehr Chancen im Wettbewerb einräumen.

Unser Land ist gut beraten, diesem freundschaftlichen Mahnruf Rechnung zu tragen. Die Deutschen müssen begreifen, daß das, was als notwendig und gut für Europa erscheint, für sie sehr häufig auch Nachteile mit sich bringen kann. Eigentlich sollte dies für sie, wenn sie auf die Geschichte der europäischen Integration zurückblicken, längst eine Selbstverständlichkeit geworden sein. Zu erklären ist ihre Realitätsblindheit allenfalls dadurch, daß sie den Lebenslügen des Euro, die ihnen bei dessen Einführung erzählt wurden, Glauben geschenkt haben. Sein Zweck war es nicht, den unverrückbaren Rahmen für eine fiskalische Stabilitätskultur in Europa zu schaffen, sondern einer ökonomischen Hegemonie Deutschlands durch die Abschaffung der Mark zu wehren. Es wäre absurd, diese nun im Zeichen des Euro kampflos zuzulassen.

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