© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/12 28. September 2012

Die letzten Wilden
Rocker: Sie sind in den Schlagzeilen und leben im Verborgenen. Sie sind Bürgerschreck – und Faszinosum
(JF)

Waffen, Drogen, Prostitution, Bandenkrieg: Was man in letzter Zeit über Motorradclubs und Rocker lesen konnte, war wenig schmeichelhaft. Dazu Fernsehbilder von schwerbewaffneten und vermummten Polizisten, die Vereinsheime, Privathäuser oder Geschäfte von Rockern stürmen und Computer, Inventar sowie Waffen sicherstellen.

Die Botschaft, die solche Nachrichten vermitteln, ist klar: Rocker sind Kriminelle, sie bewegen sich geschäftlich meist im Rotlichtmilieu und stehen auf einer Stufe mit Gewaltverbrechern und Mafiosi; und wie diese verknüpfen sie – typisch für die Organisierte Kriminalität – legale mit illegalen Geschäften, durchaus prosperierend.

Daß sich die Mitglieder von Rockerclubs durchaus als gesellschaftlich randständig sehen, untersstreichen selbstgewählte Bezeichnungen wie „Outlaw“ oder „1%er“ (siehe unten). Gerade dieses Anarchische macht wiederum das eingestandenermaßen Faszinierende dieser Szene aus. Rockerclubs sind Männerbünde, deren Mitglieder sich mit Haut und Haaren der „Bruderschaft“ verschworen haben. Sie tragen Abzeichen, geben sich martialisch und unterwerfen sich einem strengen Ehrenkodex. Im Idealfall stehen Rocker ein Leben lang füreinander ein.

Sie haben eigene Regeln und eine Hierarchie, die an Landsknechtshaufen oder auch Studentenverbindungen erinnert. Genau wie diese haben sie eine eigene Sprache und eigene Rituale; und genauso wird häufig mehr über sie als mit ihnen geredet (siehe Interview Seite 3). Beide – die kriminelle wie die faszinierende Seite – sind nur ein Ausschnitt des Ganzen; aber beide gehören dazu.

 

Ihre Clubs

Hells Angels

Im März 1948 in San Bernardino, Kalifornien, USA, gegründet. In Europa gab es die ersten Ableger in Großbritannien (1969) – den Kontakt soll George Harrison geknüpft haben – und der Schweiz (1970). In Deutschland gründete sich das erste Charter 1973 in Hamburg; es wurde 1983 verboten.

 

Bandidos

1966 in Houston, Texas gegründet. Der erste Ableger in Europa entstand 1989 in Marseille, Mitte der Neunziger folgten Chapter in Schweden und Luxemburg. In Deutschland existiert der Club seit 1999, hervorgegangen aus dem 1972 in den Niederlanden gegründeten und seit Ende der Siebziger auch in Deutschland mit Ablegern präsenten Ghostrider’s MC. Der Zusammenschluß soll eine Reaktion auf den Wechsel des Bones MC zu den Hells Angels gewesen sein.

 

Outlaws MC

1935 in der Nähe von Chicago gegründet. In Deutschland existiert der Club unter diesem Namen seit 2001 (Vorläufer war der Ghost Riders MC); es soll 43 Chapter geben.

 

Black Devils MC

1969 in Wiesbaden gegründet, gilt als der älteste deutsche Motorradclub. Chapter bestehen unter anderem in Wiesbaden, Mainz, Hanau, Friedrichshafen, Metzingen, Günsburg und Ravensburg. Der Club unterhält enge Verbindungen zu der Band Die Toten Hosen.

 

Gremium MC

Gegründet 1972 in Mannheim. Der Club war von November 1988 bis Januar 1992 als kriminelle Vereinigung verboten. Er verfügt heute nach eigenen Angaben über 72 Chapter in nahezu ganz Deutschland.

 

Rolling Wheels

1976 in Berlin gegründet, ist der vierte größere Club in Deutschland. Das Hauptquartier liegt im Bezirk Reinickendorf, Chapter bestehen unter anderem in Strausberg, Neuruppin, Velten, Wriezen, Weißwasser sowie in Serbien und Norwegen.

 

 

Ihre Sprache

Colour, engl. für „Farben“, steht für das Wappen des Clubs. Es ist in der Regel dreiteilig mit Namen, Bild und Herkunftsort. Dazu kommen die Buchstaben „MC“ (Motorcycle-Club).

Chapter/Charter Ortsgruppen eines Clubs in einer Stadt oder Region. Bei den Hells Angels heißen die Ableger „Charter“ (im Sinne von „Lizenz“).

Einprozenter Selbstbezeichnung von Rockern, die sich als Outlaw (Gesetzloser) verstehen. Der Ursprung liegt in einem Ereignis Anfang Juli 1947 in der kalifornischen Kleinstadt Hollister. Am Rande eines Biker-Wochenendes kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die American Motorcycle Association (AMA) soll damals versucht haben, die Wogen zu glätten, indem sie verkündete, daß nur ein Prozent aller Biker zu derartigen Ausschreitungen neigen. Seither tragen Outlaws einen 1%-Aufnäher in ironischer Verkehrung des Ursprungs.

Hangaround Wer Mitglied werden will, muß zunächst eine Zeitlang beim Club „herumhängen“.

Member Vollmitglied eines Rockerclubs.

Patch Der Aufnäher mit den Farben des Clubs ist „Heiligtum“ eines jeden Rockers. Er darf nur von Vollmitgliedern getragen werden.

President Chef eines Chapters/Charters; ihm meist gleichberechtigt zur Seite steht der Vizepräsident.

Prospect Der Status als Anwärter ist die zweite Stufe auf dem Weg zur vollwertigen Mitgliedschaft. Er muß als „Mädchen für alles“ in der Regel Frondienste für den Club und die Vollmitglieder übernehmen.

Road Captain Zuständig für die Planung der gemeinsamen Ausfahrten (Runs) und Treffen.

Secretary Der Sekretär erledigt die Schreibarbeiten eines Clubs.

Sergeant at Arms Der Waffenmeister ist verantwortlich für die Sicherheit, Bewaffnung und die Disziplin, auch im eigenen Club.

Supporter Unterstützer eines Rockerclubs.

Treasurer Schatzmeister beziehungsweise Kassenwart.

 

 

Ihre Regeln

Jeder Rockerclub hat für seine Mitglieder Regeln aufgestellt, die Außenstehenden nicht zugänglich sind. Bekannt sind lediglich allgemeingültige Bestimmungen wie:

- Einer für alle, alle für einen

- Als erstes kommt der Club, dann die Mitglieder, dann ich selbst

- Konflikte werden intern geregelt und nicht nach außen getragen

- Clubfremde Personen dürfen die Kutte weder tragen noch berühren.

- Wenn ein Anwärter zum Mit glied gewählt wird, während er im Gefängnis ist, erhält er seine Farben erst, wenn er Freigang bekommt  oder seine Strafe abgesessen hat.

Ein authentisches Zeugnis von den frühen Regeln bei den Hells Angels stammt von deren Gründungsmitglied Sonny Barger:

- Neue Mitglieder werden durch Abstimmung aufgenommen. Zwei Neinstimmen gelten als Ablehnung, Eine Neinstimme muß erläutert werden.

- Jeder, über dessen Aufnahme noch abzustimmen ist, unterliegt den

 

 

Clubvorschriften

- Zur Abstimmung über die Aufnahme in den Club muß der Anwärter von einem Mitglied vor geschlagen werden.

- Der Club stellt das Patch, das aber Eigentum des Clubs bleibt.

- Zwischen Clubmitgliedern sind Schlägereien verboten.

- Frauen anderer Clubmitglieder sind tabu.

- Keine Dogen während der Club treffen.

 

Ihre Kritiker

„Hinter der folkloristischen Fassade von Leder, Ketten und Männerfreundschaft steckt knallhartes organisiertes Verbrechen. Das Gerüst der Hells Angels, Bandidos, Mongols und anderer krimineller Bikerclubs wird von massiver Gewalt, eigener Rechtsprechung und strengen Hierarchien gehalten. Für Born-to-be-wild-Romantik ist da kein Platz . (...) Menschen, die unser Grundgesetz ablehnen, die zu Haß gegenüber anderen aufrufen und auch vor dem Tod Andersdenkender nicht zurückschrecken, müssen die volle Härte des Rechtsstaates zu spüren bekommen. “

Frank Richter, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, am 31. Mai 2012

 

„Der polizeiliche Druck auf kriminelle Rockergruppen ist erfolgreich. Die intensiven polizeilichen Ermittlungen lassen den Rockerclubs jetzt offenbar keine andere Wahl, als ihren Verein selbst aufzulösen. Die Polizei muß den Rockern weiter auf den Füßen stehen und den Fahndungsdruck weiter hoch halten. Kriminelle Aktivitäten enden noch lange nicht damit, daß die Rocker ihre Kutten nicht mehr tragen. “

Bernhard Witthaut, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, am 28. Juni 2012

 

„Angesichts steigender Rockerkriminalität und zunehmender gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Rockerbanden ist ein gemeinsames, abgestimmtes Vorgehen der Innenminister zwingend (...). Rocker müssen einen permanenten Beobachtungsdruck spüren. Denn viele Mitglieder dieser Clubs sind äußerst gefährlich. Sie können schnell bis zum Äußersten entschlossen sein. Rockern geht es weniger um die Austragung persönlicher Konflikte, sondern vielmehr um knallharte Verteilungskämpfe auf dem Feld der Organisierten Kriminalität. Diese Schwerverbrecher schrecken auch vor brutalster Gewalt nicht zurück, um ihre kriminellen Interessen durchzusetzen. (...) Ein Verbot von Rockerclubs muß sehr genau überlegt werden. Die Typen werden nämlich eher dazu neigen, weiterhin ihren kriminellen Geschäften nachzugehen als einen Häkelclub zu gründen. Was wir brauchen sind verdeckte Ermittler mit weitreichenden Kompetenzen, Razzien und Durchsuchungen. “

Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, am31. Mai 2012

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