© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/12 21. September 2012

Der Flaneur
Faule Sommerluft
Josef Gottfried

Am Altmarkt in Dresden, dort an der Ecke zur Kreuzkirche, da ist das Café Zentral. Sehr elegantes Etablissement. Bei feinstem Sonnenschein und leichtem, angenehm kühlendem Wind sitze ich draußen und genieße einen vorzüglichen Kaffee, von weit her, während mein Smartphone alle Beethoven-Symphonien herunterlädt. Freude schöner Götterfunken! Ein paar fröhliche Touristen, gut angezogene Südeuropäer, schlendern vorbei und schnattern so herrlich, daß ich sie unvermittelt anlächle, sie blicken freundlich zurück. Alle Menschen werden Brüder.

Die Bedienung ist sehr charmant, sie fragt, ob ich noch einen Wunsch hätte. Ja, ich bestelle ein Menü mit norwegischem Lachs, es wird köstlich sein. Nach dem Essen ordere ich einen weiteren Kaffee und blättere in meinem Buch, richtig gute Belletristik. Doch ich strenge mich nicht an beim Lesen, ich beobachte mehr das bunte Treiben auf dem Platz, während ich die Neunte auf dem Kopfhörer habe, gerührt darüber, welchen Luxus die Technik uns bietet, Freude, Freude treibt die Räder.

Zwischen Altmarkt und Kulturpalast rollen die Straßenbahnen, arme und reiche, junge und alte, solche und solche Leute steigen aus und wieder ein, der Freude Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt. Ich weiß, daß vor mir im Kulturpalast und hinter mir in der Kreuzkirche subventionierte Konzerte angeboten werden, Hochkultur zum Spottpreis, Blumen lockt sie aus den Keimen!

Ein Pärchen läuft verliebt an meinem Tisch vorbei, er ist zu Recht stolz auf die Hübsche, wer ein holdes Weib errungen, mische seinen Jubel ein. Drei Stunden sitze ich in diesem Café, tiefe Zufriedenheit am Altmarkt, wo 1945 Berge von verbrannten Leichen lagen und vor sich hinstanken. Ich dagegen atme tief ein, Sommerluft, seid umschlungen, Ihr Millionen!

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